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Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Titel: Am Sonntag blieb der Rabbi weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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angesiedelt ist und Aufgaben in ihr hat.»
    «Ich habe gar nichts gegen Ihr Programm, wenn ich es auch für richtiger hielte, die Entscheidung über diese Dinge dem Einzelnen zu überlassen. Mich stört nur, dass Sie die Gegenpartei damit vor den Kopf stoßen – und zwar in einem Maß, dass sie aus der Gemeinde auszutreten droht … Fairerweise: die andere Seite hat sich genauso unvernünftig benommen. Auf den Vorstandssitzungen ist seit Monaten nicht mehr sachlich diskutiert worden. Wenn die einen etwas vorschlugen, waren die andern prinzipiell dagegen und umgekehrt. Den Belastungen, die solche Spannungen mit sich bringen, ist keine Gemeinde auf die Dauer gewachsen. Und jetzt hat Ihre Gruppe offenbar auch noch die letzten Hemmungen abgelegt. Brennermans Predigt …»
    «Was ist mit Brennermans Predigt?»
    «Er hatte kein Recht, die Kanzel auf solche Weise zu missbrauchen.»
    «Moment mal, Rabbi. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich die Rede im Wortlaut gehört, und im Großen und Ganzen bin ich Brennermans Ansicht.» Gorfinkle lächelte sein verkrampftes, humorloses Lächeln.
    «Dann sind Sie gleichermaßen schuldig, Mr. Gorfinkle.»
    «Na, hören Sie mal! Sie vergessen, dass ich Vorsteher der Gemeinde …»
    «Ganz recht, Mr. Gorfinkle: Sie sind Vorsteher der Gemeinde – der Gemeindeorganisation, wie Sie betonen. Aber die Kanzel gehört dem Rabbi.»
    «Das war mir nicht bekannt, Rabbi», sagte Gorfinkle liebenswürdig. «Ist das ein jüdisches Gesetz, oder wie?»
    «Es ist ein Gebot des Anstands! Ich übernehme ja auch nicht einfach den Unterricht in irgendeiner Religionsklasse, ohne vorher das Einverständnis des zuständigen Lehrers einzuholen – obwohl die gesamte religiöse Unterweisung dem Rabbi untersteht.»
    «Also gut …» Manchmal lohnt es sich, in unwichtigeren Punkten nachzugeben. «Ted hat vielleicht ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen. Er ist immer gleich Feuer und Flamme, und manchmal geht ihm eben der Gaul durch.»
    «Da ist noch etwas … Sie haben gestern auf der Vorstandssitzung Roger Epstein zum Vorsitzenden der Ritualkommission nominiert?»
    «Was haben Sie gegen Roger Epstein?», brauste Gorfinkle auf.
    «Persönlich gar nichts. Aber bis er hierher zog, wusste er kaum, wie eine Synagoge von innen aussieht. Und jetzt soll er als Vorsitzender der Ritualkommission über die Gebetsordnung mitentscheiden? Da ist es doch begreiflich, dass Paff und seine Freunde darin einen Affront sehen – konservativ, wie sie sind!»
    «Langsam, Rabbi – langsam! Ich habe Roger gewählt, weil die Ritualkommission die wichtigste ist und er mein bester Freund … Es ist doch völlig gleichgültig, ob er die Gebetsordnung kennt oder nicht – da können Sie sich ja darum kümmern, gemeinsam mit dem Kantor meinetwegen. Aber der Vorsitzende der Ritualkommission vergibt an den Feiertagen die gottesdienstlichen Ehrenämter, und auf die wird allgemein großer Wert gelegt – und solange Meyer Paff das Amt hatte, hat er immer politisches Kapital daraus geschlagen … Übrigens, wenn wir schon von unkorrektem Verhalten sprechen, Rabbi: Finden Sie es korrekt, eine Gruppe von Kindern einzuladen, darunter auch meinen Sohn, um vor ihnen vom Standpunkt der Gegenpartei aus über diese Dinge zu referieren? Ist das etwa nicht ein Missbrauch Ihres Privilegs?»
    «Kinder? Für uns gilt der Dreizehnjährige bereits als Mitglied der Männergemeinde. Er kann zur Thoralesung aufgerufen werden; er darf sogar vorbeten … Sind aufgeweckte achtzehn- und neunzehnjährige College-Studenten nicht reif genug, um zu verstehen, was sich in ihrer Gemeinde abspielt?»
    «Das klingt nach einem talmudischen Dreh, Rabbi; lassen Sie mich damit in Frieden. Ich betrachte das als Einmischung in die Gemeindepolitik, und ich wünsche, dass das aufhört.»
    Der Rabbi lächelte. «Mit andern Worten, ich soll aufhören, zu den jungen Leuten zu sprechen?»
    «Sie sollen aufhören, ihnen von den Problemen der Gemeinde zu erzählen. Und dies ist keine Bitte, sondern eine Anordnung.»
    «Das geht nicht, Mr. Gorfinkle. Ich bin der Rabbi, und ich entscheide, was ich den Mitgliedern der Gemeinde sagen will und was nicht.»
    Wenn die Diskussion einen Punkt erreicht, wo kein Kompromiss mehr möglich ist, reden Sie nicht mehr um den Brei herum. Machen Sie kurzen Prozess.
    Gorfinkle nickte. «Sie haben mir zur Genüge bewiesen, dass Sie auf Paffs Seite sind. Das erstaunt mich keineswegs; wir hatten es ohnehin vermutet … Unsere Gruppe hatte gestern Abend eine

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