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Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Titel: Am Sonntag blieb der Rabbi weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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hochgehaltenem Kelch den Segen über den Wein.
    Die Männer an den Ehrenplätzen gingen hinaus, um sich nach der Vorschrift die Hände zu waschen. Als sie zurückkamen, tauchte der Rabbi einen Petersilienstängel in ein Gefäß mit Salzwasser und sprach den Segen über die Frucht der Erde.
    Er deckte die Mazzoth auf, nahm das Ei und den Knochen von der Platte und gab sie an Mr. Wasserman weiter, der das Holachmo anjo sprach: «Seht, dies ist das Brot der Armen, das unsere Väter im Land Ägypten aßen; jeder, der hungrig ist, komme und esse, und jeder Bedürftige komme und feiere das Pessachfest …»
    Zum zweiten Mal wurden die Weingläser gefüllt. Der Rabbi nickte einem der Kinder zu, das aufstand und mit schüchterner Stimme das Manischtana aufsagte.
    Nachdem das Kind die vier Fragen vorgetragen hatte, stellte der Rabbi das Tonbandgerät auf den Tisch. «Arlene Feldberg hätte die englische Übersetzung vorlesen sollen», verkündete er. «Leider liegt sie mit Masern im Bett, aber wir werden sie trotzdem hören …» Er drückte auf eine Taste, worauf seine eigene Stimme in den Saal dröhnte: … mit freundlichen Grüßen … bitte einen zusätzlichen Durchschlag, Miriam. Unmittelbar darauf folgte die hohe Piepsstimme der kleinen Arlene:
    Worin unterscheidet sich diese Nacht von allen andern Nächten? Das langsame, geschraubte Deklamieren verriet wochenlanges Einstudieren. In allen andern Nächten essen wir Gesäuertes oder Ungesäuertes, diese Nacht jedoch nur Ungesäuertes …
    Der Rabbi warf Miriam einen Blick zu. «Siehst du?», flüsterte er ihr zu. «Ich kann mich anpassen, wenn’s sein muss …»
    «Und es kommt an!», flüsterte sie zurück.
    Warum essen wir bittere Kräuter … Warum tauchen wir unser Essen zweimal ein … Warum essen wir angelehnt?
    Mr. Wasserman zupfte den Rabbi am Ärmel, und der Rabbi beugte sich zu dem alten Mann hinüber, statt das Tonbandgerät abzustellen.
    … will, dass du absagst, Miriam – verstehst du? Lass dir doch irgendeine Ausrede einfal…
    KNACKS! Der Rabbi hatte die richtige Taste erwischt.
    Die Tischgesellschaft brach in schallendes Gelächter aus. Der Rabbi errötete und sagte hastig: «Wir wollen jetzt alle gemeinsam lesen …»
    Das Festessen wurde aufgetragen. Nach dem gefüllten Fisch und der Hühnerbrühe gingen einige Gemeindemitglieder mit den kleineren Kindern nach Hause. Die meisten blieben jedoch bis zum Schluss, sprachen die Gebete und Segenssprüche und sangen die traditionellen Lieder. Zuletzt trank man das vierte Glas Wein, und alle sprachen im Chor, laut mit froher Stimme, was Juden in aller Welt seit vielen Jahrhunderten am Ende der Pessach -Feier rufen: «Nächstes Jahr in Jerusalem!»
    Der Rabbi neigte sich zu Miriam hinüber: «Warum nicht?», flüsterte er.
    «Was?»
    «So wie’s aussieht, sind wir nächstes Jahr frei. Warum sollen wir nicht einmal nach Jerusalem fahren?»
59
    «Sie haben das Protokoll der letzten Sitzung im vollen Wortlaut gehört. Möchte jemand etwas richtig stellen? Oder etwas hinzufügen? Bitte, Mr. Sokolow …»
    «Wir haben während der Sitzung stundenlang über den neuen Vertrag für den Rabbi gesprochen, aber im Protokoll ist kein Wort davon erwähnt.»
    «Du bist früher weggegangen, Harry», sagte Gorfinkle. «Aus nahe liegenden Gründen wurde beschlossen, das nicht ins Protokoll aufzunehmen. Stell dir vor, der Rabbi wäre heute da. Das wäre vielleicht peinlich.»
    «Und woher soll ich wissen, was beschlossen wurde?»
    «Ich habe eine Kommission bestimmt, mit Al Becker als Vorsitzendem … Würdest du’s ihm bitte kurz erläutern, Al?»
    «Gewiss.» Becker erhob sich und ging zum oberen Ende des Tisches. «Wir haben vor allem über die Vertragsbedingungen diskutiert. Die einen schlugen vor, den Vertrag auf weitere fünf Jahre zu verlängern – mit Gehaltserhöhung natürlich … Es gab aber auch viele Stimmen, die für einen Vertrag auf Lebenszeit waren. Das müsste man aber mit dem Rabbi persönlich besprechen.»
    «Was habt ihr also beschlossen?», fragte Sokolow.
    «Nun, vorläufig wollen wir ihm noch nichts sagen», antwortete Becker. «Da ist nämlich noch etwas, und ich meine, das sollten wir erst unter uns besprechen.» Er räusperte sich. «Am Ende dieses Jahres endet auch das sechste Dienstjahr des Rabbis in unserer Gemeinde. Der neue Vertrag beginnt also mit dem siebten Jahr. Wie Sie wissen, geben viele Gemeinden ihrem Rabbi das siebte Jahr als so genanntes Sabbatjahr frei. Nun sollten wir nicht

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