Am Sonntag blieb der Rabbi weg
herauszurücken?»
«Sie sind der Rabbi – das heißt, dass Sie weder auf der einen noch auf der anderen Seite stehen; Sie sind unparteiisch. Deshalb können Sie Sachen sagen, die wir uns nicht erlauben können.»
«Sie denken an die Änderungen, die der Vorsteher beantragen will?» Er setzte sich ans Steuer. «Die wird er so oder so durchsetzen.»
Wasserman schüttelte den Kopf. «Dann gibt’s aber Stunk, und wenn schon, dann lieber später als jetzt. Sie sind zwar der Rabbi, aber ich bin ein alter Mann und habe vieles gesehen, das Sie vielleicht nur aus Büchern kennen … Es ist wie mit der Ehe: Solange es nicht zum offenen Bruch kommt, ist noch alles zu retten. Manche Ehepaare fangen schon gleich nach der Hochzeit an zu streiten, aber solange nicht einer von den beiden seine Sachen packt und zum Anwalt läuft, sind die Chancen groß, dass die Ehe hält.»
«Ist das nicht etwas …» Er musterte den Alten. Dem ging die Sache offensichtlich nahe, und so änderte der Rabbi den Kurs. «Es geht ja hier nur um eine Vorstandssitzung, Mr. Wasserman.»
Wasserman sah ihn beschwörend an. «Versuchen Sie, dort zu sein, Rabbi!»
Während er nach Hause fuhr, um Miriam und Jonathan abzuholen, machte er sich Gedanken über die Rolle, die ihm da zugeschoben wurde. Ihm war nicht wohl bei der Sache. Schließlich war er Rabbiner, der Tradition nach ein Gelehrter und Lehrer. Warum sollte er sich in die Händel der Gemeindepolitik einmischen? Selbst Jacob Wasserman, den er achtete und zu seinen wenigen Freunden in der Gemeinde zählte, der Einzige, bei dem er Verständnis für die traditionelle Rolle des Rabbiners voraussetzte – selbst Wasserman wollte ihn in die kleinkarierte Synagogenpolitik hineinziehen. Es war beinahe, als gönnten sie ihm die paar Tage Ferien nicht.
Vor einem Monat hatte er den Plan gefasst, als Robert Dorfman, der Rabbi der Hillel -Gruppe, der jüdischen Studentenvereinigung in Binkerton, mit seiner Frau zu einem Verwandtenbesuch nach Lynn gekommen war. Bei dieser Gelegenheit hatten sie auch die Smalls im benachbarten Barnard’s Crossing besucht, denn die beiden Männer waren zusammen auf dem Rabbinerseminar gewesen. Bob Dorfman erwähnte im Gespräch, dass er sich für eine Rabbinerstelle in New Jersey beworben hätte.
«Sie haben mich eingeladen, damit ich einen Freitag- und Samstaggottesdienst abhalte.»
«Du, die meinen es ernst!»
«Ja, sicher. Es ist nur … Weißt du, das Datum passt mir nicht. Es ist das letzte Wochenende vor den Frühjahrsferien.»
«Wollen dir etwa die Hillel -Leute für das Wochenende nicht freigeben?» Rabbi Small war erstaunt.
«Nein, daran liegt es nicht. Aber Pessach fällt in die Ferienzeit, und deshalb würde ich noch gern den Abschiedsgottesdienst halten.»
«Dann lass dir doch in New Jersey einen anderen Termin geben.»
Rabbi Dorfman schüttelte den Kopf. «Du weißt doch, wie das ist. Vielleicht haben sie eine ganze Reihe von Kandidaten für mehrere Sabbatgottesdienste bestellt.»
«Bist du sehr scharf auf den Posten?»
«Eigentlich schon … Die Arbeit mit den College-Studenten ist zwar wichtig, aber eine richtige Gemeinde wäre mir lieber.» Er lachte verlegen. «Weißt du, ich würde gern von Zeit zu Zeit eine Bar-Mizwah -Rede halten. Wahrscheinlich haben wir alle so was wie ein messianisches Sendungsbewusstsein, sonst hätten wir diesen Beruf gar nicht erst gewählt; aber ich glaube, ich könnte den Bar-Mizwah -Jungen wirklich etwas mit auf den Weg geben. Ich würde auch gern mal bei einer Brith-Milah dabei sein …»
«Bei einer Beschneidung, ja … Und Grabreden halten?»
«Warum nicht, wenn man den Angehörigen Trost spenden kann?» Bob Dorfman war untersetzt und hatte ein rundes Gesicht; wie er so erwartungsfroh seinen Freund anblickte, sah er aus wie ein pausbäckiger Schuljunge, der auf das Lob des Lehrers wartet.
«Glaub mir, Bob», meinte Rabbi Small, «es ist ganz anders, als du dir’s vorstellst. Bei der Hillel- Arbeit hast du wenigstens viel freie Zeit. Du bist in einer akademischen Umgebung, kannst studieren …»
«Aber man hat keine Beziehung zum wirklichen Leben.»
«Vielleicht ist das ein Glück. Und außerdem hast du eine gewisse Sicherheit. In einer Gemeinde – im wirklichen Leben, wie du so schön sagst – weißt du nie, wann du gerade ins Fettnäpfchen trittst und an die Luft gesetzt wirst.»
Dorfman grinste. «Ich weiß, du hast Ärger gehabt. Aber jetzt ist doch alles wieder eingerenkt. Du hast einen langfristigen
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