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Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Titel: Am Sonntag blieb der Rabbi weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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Metallkiste mit Sodawasserflaschen versperrt, was den traurigen Zustand des Schaufensters wenigstens zum Teil erklären mochte. An der Wand entlang zog sich eine Theke mit einem schön geschnörkelten Zapfhahn für Soda-Getränke, an dem ein Schild mit der Aufschrift Ausser Betrieb hing. Hinter der Theke hing ein halb blinder Spiegel; auf ihrer Marmorplatte standen Dosen mit alten Biskuits, Krapfen und Erdnüssen. Gegenüber waren Regale mit Zeitschriften, Taschenbüchern und Glückwunschkarten. Quer durch den hinteren Teil des Ladens zog sich ein Gestell voller Hefte, Notizblocks und Schachteln mit Bleistiften, Linealen, Radiergummis, Kompassen, Bleistiftspitzern, Leimtuben, Klebestreifen, Bindfadenrollen, Schlüsselringen, Kämmen, Handspiegeln und anderen Dingen, die Schulkinder kaufen.
    Im hinteren Abteil standen ein altmodisches Rollpult und ein Drehstuhl, dessen Füße von einem Draht zusammengehalten wurden, der gleichzeitig als Fußstütze diente. In der Mitte des Raumes gab es etwa ein halbes Dutzend runde Tische und Stühle, die den Teenagern als Treffpunkt dienten.
    Draußen auf dem Firmenschild stand:
     
    Bücher und Schreibwaren
    Joseph Begg, Esquire
     
    Begg war ein kräftiger, muskulöser Mann von fünfzig mit großer Glatze, die man jedoch nur selten sah, weil er immer einen Hut aufhatte. Von seinem Rollpult aus regierte er den Laden. Er war knurrig, streitsüchtig und barsch, aber das Geschäft war trotzdem beliebt bei der Jugend. Hier verabredete man sich, nahm ein Paket Kekse von der Theke oder eine Flasche Soda aus der Eiskiste, zeigte im hinteren Teil des Lokals seine Einkäufe vor und bezahlte. Der Inhaber wurde allgemein mit ‹ Mr. Begg› angesprochen; nur einige der älteren Jungen nahmen sich heraus, ihn ‹Squire› zu nennen – als Anspielung auf das Schild draußen. Das war aber auch schon der gewagteste Scherz, den man sich mit ihm leisten konnte. «Cola und Krapfen. Zwanzig Cent, Mr. Begg.»
    Sie streckten ihm die Münzen hin, die er in eine alte Zigarrenschachtel auf seinem Pult klirren ließ. Oder: «Bitte Kleingeld für die Spielautomaten, Mr. Begg!» Worauf er misstrauisch den Geldschein oder die Münze prüfte, bevor er mürrisch das Wechselgeld herausgab. Wenn man ausgetrunken hatte, mussten die leeren Flaschen in das Gestell geräumt werden. Wer es vergaß, wurde angeschrien: «He, du – stell die Flasche weg!» – Und jeder gehorchte brav.
    Mr. Begg hatte früher an der High School unterrichtet, dann aber irgendwann den Lehrerberuf aufgegeben – kein Mensch wusste, warum, seine jungen Kunden am allerwenigsten. Eine Amtszeit lang hatte er auch dem Magistrat angehört; jetzt kümmerte er sich nicht mehr um die Lokalpolitik – abgesehen von scharfen Beschwerdebriefen, die er gelegentlich an die Wochenzeitung schrieb und in denen er meistens gegen irgendwelche Projekte polemisierte, die der Jugend zugute kommen sollten.
    «Er kann Kinder nicht ausstehen», sagten die Leute; «darum hat er auch den Lehrerberuf aufgegeben.»
    «Aber es kommen nur Kinder in seinen Laden.»
    «Nun, das hat sich zufällig so ergeben: Zuerst war es eine Buchhandlung; dann nahm er Glückwunschkarten und Schreibwaren auf … Als er merkte, dass vor allem die Schulkinder bei ihm einkauften, schaffte er eben noch andere Artikel für sie an – schließlich muss ja der Schornstein rauchen, nicht wahr?»
    Am Freitagmorgen machte Begg erst spät auf. Er saß noch keine fünf Minuten an seinem Pult, als die Tür aufging und Moose Carter eintrat.
    «He, wo haben Sie gesteckt, Squire?» Carter war ein großer, stämmiger Bursche und hatte die breiten Schultern und den kräftigen Nacken eines Footballspielers. Er hatte blaue Augen, eine Stupsnase und ein breites Grinsen. «Ich war schon vor ’ner halben Stunde da, aber da war noch zu.»
    Statt einer Antwort wandte sich Begg ab und traf zielsicher in den Spucknapf neben dem Pult.
    Der junge Mann ließ sich nicht beeindrucken. «Wollen Sie nicht den Laden für den Sommer herrichten?»
    «Ich mach die Doppelfenster raus und häng die Fliegengitter ein», brummte Begg.
    «Brauchen Sie da keine Hilfe?»
    «Schön wär’s ja … Anderthalb Dollar die Stunde.»
    «Das ist nicht viel. Auf der Kegelbahn krieg ich zwei Dollar die Stunde. Und Trinkgelder außerdem.»
    «Anderthalb Dollar.»
    Moose zuckte die Achseln. «Meinetwegen. Wann brauchen Sie mich?»
    «Sonntag früh.»
    Moose überlegte. «Sonntag? Das kostet mehr. Sonntagsarbeit.»
    «Warum?», knurrte Begg.

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