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Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Titel: Am Sonntag blieb der Rabbi weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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Vertrag …»
    Rabbi Small schüttelte langsam den Kopf. «Unsere Verträge sind gewöhnliche Dienstverträge, das heißt, dass sie vor Gericht so gut wie wertlos sind. Und wenn du trotzdem gerichtlich vorgehst und klagst, dann kriegst du nie mehr einen Posten als Rabbiner … Ich habe einen Fünfjahresvertrag, und wenn er Ende dieses Jahres ausläuft, bekomme ich vermutlich einen neuen. Und eine Gehaltserhöhung.»
    «Siehst du! Du bist versorgt.»
    «Dafür gibt’s andere Nachteile. Du musst vierundzwanzig Stunden am Tag für die Gemeinde da sein. Du hast keine Minute für dich …» Er lächelte. «Mit der Zeit wird es etwas mühsam, selbst wenn du hie und da eine Beschneidung oder eine Bar-Mizwah -Feier hast.»
    «Es geht mir ja nicht nur darum, eine eigene Gemeinde zu kriegen», wandte Dorfman ein. «Ich will die Hillel -Arbeit loswerden … Auch aus finanziellen Gründen – mit einer wachsenden Familie muss man an die Zukunft denken. Aber vor allem: Ich komme mit den Studenten nicht gut zurecht. Ich hab bei ihnen immer das Gefühl, an die Wand zu reden. Sie wissen alles besser und nehmen nichts ernst.»
    «Ach, weißt du, ich glaube, sie zeigen’s bloß nicht, wenn sie’s ernst nehmen», meinte David Small. «Allerdings hab ich hier nicht sehr viel mit Studenten zu tun … Wenn sie in den Ferien nach Hause kommen, besuchen sie mich meistens. Sie kommen mir ganz lebendig und aufgeweckt vor. Und wenn sie sich zynisch geben … Zyniker sind meist im Grunde Idealisten, die irgendwann einmal enttäuscht worden sind.»
    Dorfman zuckte die Achseln.
    «Sag mal …» David Small zögerte, fuhr dann aber fort: «Sag mal, Bob, wäre dir geholfen, wenn ich dich an diesem Wochenende vertreten würde?»
    «David!» Dorfmans Gesicht hellte sich auf. «Das wäre herrlich, aber … Kannst du’s hier einrichten?»
    «Warum nicht? Die Männergemeinde hält jedes Jahr einmal einen Gottesdienst allein ab. In diesem Jahr, glaube ich, eine Woche vor deiner geplanten Reise. Ich muss noch genau nachsehen. Aber das ließe sich sicher auf die folgende Woche verschieben, und ich könnte nach Binkerton kommen.»
    Als er vorfuhr, standen Miriam und Jonathan vor der Haustür bereit. Die zierliche, lebhafte Miriam hatte große blaue Augen, ein offenes Gesicht und ein kräftiges, entschlossenes Kinn.
    «Muss er so eingemummelt sein?» Der Rabbi deutete auf den kleinen Jonathan. «Er wird vor Hitze umkommen.»
    «Ach, das Wetter ist so unbeständig … Wenn es zu warm wird, zieh ich ihm einfach was aus.»
    «Na schön … Los, einsteigen!»
    Als Miriam die Autotür schließen wollte, hörte sie das Telefon klingeln. Sie hielt inne. «Moment, das Telefon …»
    «Geh nicht ran!», sagte er scharf.
    Sie stutzte. «Warum nicht?»
    «Weil ich endlich abfahren will. Ich bin müde.»
    Sie sah ihn zweifelnd an, dann schlug sie die Tür zu, während das Telefon weiterklingelte.
    Schweigend schnallte sie Jonathan in seinem Kinderstuhl auf dem Vordersitz fest und setzte sich neben ihn.
    Als sie losfuhren, wiederholte der Rabbi entschuldigend: «Ich bin müde, einfach müde …» Und nach einer Weile: «Ich habe heute das Morgengebet rasend schnell heruntergerasselt, ich war ungeduldig zu Morton Brooks, ich hab mich über Wasserman geärgert, und …»
    Sie streichelte seine Hand auf dem Lenkrad. «Schon gut, David. Jeder braucht von Zeit zu Zeit mal einen Tapetenwechsel.»
2
    Der Laden war groß, gemessen an dem in Barnard’s Crossing üblichen: zwanzig Fuß breit und mehr als doppelt so tief. Die Schaufenster waren schmutzig und dahinter alles verstaubt. Die giftgrünen und bonbonrosa Krepppapier-Girlanden, die Blumen und Papierschlangen um das Coca-Cola-Plakat in der Auslage waren längst vergilbt und voller Wasserflecke, aber noch immer posierten die kurvenreichen Mädchen aus Pappe in den einst aufreizenden, nunmehr aber hoffnungslos altmodischen Badekostümen. Sie hatten die Beine hochgezogen, um die Schenkel zu betonen, und saßen mit hohlem Kreuz, damit der Busen hervortrat und die Andeutung der Brustwarzen unter dem Badekostüm gerechtfertigt war. Sie hatten die Augen halb geschlossen und hielten Coca-Cola-Flaschen an die gierigen Lippen. Im Krepppapier-Gewühl lagen verstaubte Colaflaschen verstreut; eine davon war vor längerer Zeit ausgelaufen, und ihr Inhalt schlängelte sich als schmales, eingetrocknetes Rinnsal am Fensterbord entlang.
    Drinnen war der Zugang zum Schaufenster durch eine Musikbox, zwei Spielautomaten und eine

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