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Am Strand des Todes

Am Strand des Todes

Titel: Am Strand des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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könnte er sich vorstellen, einer jener Zigeuner zu sein, die
ihre Wohnorte wechselten wie die Hemden und nirgendwo
Wurzeln schlugen. Das war nichts für ihn! Er brauchte seine
Vergangenheit ständig um sich. Obwohl er jetzt allein das Haus
bewohnte, fühlte er sich nicht einsam – seine Vorfahren und
seine Familie waren immer um ihn und leisteten ihm
Gesellschaft.
    Er machte sich ein Sandwich und öffnete eine Dose Bier, um
es hinabzuspülen. Als er ins Wohnzimmer zurückkam, hatte
der Film bereits begonnen. Genüßlich kauend ließ er sich in
seinen Sessel fallen.
    Während eines Werbeblocks spürte er wieder diese seltsame
Unruhe in sich aufsteigen. Sein Blick schweifte durchs
Zimmer, als ob er jemand suchte. Er hörte, daß der Wind
aufgefrischt hatte und ging erneut zum Fenster. Es hatte zu
regnen begonnen, und durch die Rinnsale auf der Scheibe
schimmerten die Lichter von Clark’s Harbor nur noch
verschwommen herüber. Harney Whalen schüttelte über sich
selbst den Kopf und ging zu seinem Sessel zurück.

Er versuchte sich auf den Film zu konzentrieren, aber immer
wieder merkte er, wie er auf den Wind lauschte, der am Haus
zerrte. Seine Gedanken schweiften weiter und weiter ab, und
sein Hirn registrierte nicht mehr, was sich vor seinen Augen
auf dem Bildschirm abspielte… Er zuckte zusammen und
zwang seine Aufmerksamkeit auf den Bildschirm zurück.
    Der Sturm wuchs.
Kurz vor dem Ende des Films spürte Harney Whalen, wie in
seiner Wange wieder dieser Nerv zu zucken begann – bekam er
etwa wieder einen seiner ›Anfälle‹, wie er das nannte? Gleich
darauf verzog sich sein Gesicht zu einer furchteinflößenden
Grimasse, und seine Hände wurden von einem krampfartigen
Zittern befallen. Wie benommen erhob er sich schwerfällig aus
seinem Sessel, wobei die letzten Sandwichkrümel zu Boden
fielen.
Robby und Missy lagen wach in ihren Betten und lauschten auf
den Regen, der gegen das Fenster klatschte.
    »Du willst raus und ihn suchen, nicht wahr?« flüsterte Missy
plötzlich in der Dunkelheit.
»Wen?« fragte Robby zurück.
»Snooker.«
»Er ist da draußen, nicht wahr?«
»Ob wir ihn finden können?«
»Sicher«, meinte Robby mit gespielter Überzeugung.
»Aber die Geister?!«
»Gibt’s doch gar nicht!« widersprach Robby im selben Ton,
während er vom oberen Bett herabkletterte und sich auf das der
Schwester setzte. »Du glaubst doch nicht, was dieser alte Mann
gesagt hat – oder doch?«
Missy wand sich und wich dem Blick des Bruders aus.
»Warum sollte er lügen?«
»Erwachsene lügen Kinder doch dauernd an, damit wir tun,
was sie wollen.«
Missy musterte den Bruder ängstlich. Warum sagte er nur
immer solche schrecklichen Dinge? »Laß uns jetzt schlafen!«
Robby ignorierte sie und begann sich anzuziehen. Missy
beobachtete ihn einen Augenblick und folgte dann seinem
Beispiel, obwohl sie viel lieber in ihrem warmen Bett
geblieben wäre. Aber als Robby das Fenster öffnete und
hinauskletterte, folgte sie ihm, ohne zu zögern.
Als sie den Strand erreichten, meinte Missy etwas zu sehen.
Aber es war viel zu düster, um sicher sein zu können. Eine
große dunkle Gestalt schien sich nahe der Wasserlinie vor den
heran wälzenden Wellenbergen zu bewegen. Fast wirkte es wie
ein Tanz, doch die Bewegungen waren unregelmäßig und
ungelenk. Missy umklammerte Robbys Hand.
»Schau doch«, flüsterte sie.
Robby starrte in die Dunkelheit. »Was ist denn? Ich kann
nichts sehen.«
»Dort vorn«, zischte Missy, »direkt am Wasser.« Sie drückte
sich angstvoll an Robby und preßte seine Hand, daß es
schmerzte.
»Laß doch los!« befahl Robby ohne Erfolg.
»Laß uns ins Gehölz zurückgehen«, bat Missy, »dort ist es
sicherer.«
Robby zögerte, war dann aber bereit, seiner Schwester zu
folgen. Falls Snooker sich hier herumtrieb, suchte er
wahrscheinlich Schutz unter den Bäumen. Sie kletterten gerade
durch die Treibholzbarriere, als Missy plötzlich wieder Robbys
Arm umklammerte.
»Da ist irgendwas«, flüsterte sie erregt, »wir wollen uns
verstecken!«
Robby erstarrte und sah sich um – nichts. Nur die Schwärze
der Nacht und das Tosen von Wind und Brandung, die sich
gegenseitig anzufeuern und in immer größere Wut
hineinzusteigern schienen. Doch als Missy ihn erneut fordernd
am Arm zog, ließ er sich neben sie in die Deckung eines
größeren Stammes fallen.
    Nur wenige Meter entfernt schreckte Miriam Shelling unruhig
unter dem Einfluß einer seltsamen Empfindung auf, die
plötzlich ihr Bewußtsein durchflutete.

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