Am Strand des Todes
mieten!«
Whalen schien darüber nachzudenken. Seine Fäuste
lockerten sich, und er griff mit einer Hand in die Innentasche
seiner Jacke.
»Hier ist der Mietvertrag, unterschreiben Sie oder lassen Sie
es!«
Brad warf einen Blick darauf. Die Miete sollte zweihundert
Dollar pro Monat betragen, der Rest der Vereinbarung
interessierte ihn nicht weiter, da es sich um den üblichen
Vordruck handelte. Elaine reichte ihm einen Kugelschreiber,
und er unterzeichnete hastig die beiden Kopien. Eine behielt er
für sich, die andere gab er Whalen zurück, der sie wie
abwesend wieder in die Jackentasche schob. Ganz plötzlich
wies er nach Norden. »Sehen Sie die Hütte dort, fast verborgen
unter den Bäumen? Das sind Ihre nächsten Nachbarn, die
Palmers.« Er schien den Blick nicht von der Hütte abwenden
zu können, doch schließlich wandte er sich ihnen wieder zu.
»Die Palmers sind ebenfalls fremd hier«, sagte er in einem
Ton, der fast bedrohlich wirkte. Dann stapfte er Richtung Wald
davon.
Brad und Elaine sahen ihm noch einen Augenblick nach und
machten sich dann auf den Weg zurück zum Hafen und ihrer
Pension. »Weißt du was?« meinte Brad nach längerem
Schweigen, »ich bin nicht sicher, ob er überhaupt mitgekriegt
hat, daß wir sein Haus gemietet haben. Er wirkte fast wie in
Trance.«
Elaine nickte nachdenklich. »Genau den Eindruck hatte ich
auch. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Er hat
unterschrieben, das Haus gehört jetzt uns.« Sie wandte sich
noch einmal um. Einen Augenblick lang schien es ihr, als ob
sich irgend etwas hinter einem der Fenster bewegte – vielleicht
ein Gesicht? Oder war es nur ein Schatten?«
Ganz offensichtlich litt sie seit neuestem an Halluzinationen.
9
Das Speisezimmer der Harbor Inn war wieder ruhig an diesem
Abend. Die kleine ›Reservierungskarte‹ war genauso
überflüssig wie am Abend zuvor. Nur noch ein weiterer Tisch
war besetzt; die übrigen waren wohl gedeckt, warteten aber
vergeblich auf Gäste. Nur an der Bar saßen noch einige vor
ihren Getränken. Wenn überhaupt etwas gesprochen wurde,
war es so leise, daß man es vom Tisch der Randalls aus nicht
verstehen konnte. »Wenn du dich noch weiter zurücklehnst,
fällst du vom Stuhl«, meinte Elaine schließlich. Unter dem
Einfluß der allgemeinen Stille hatten auch die Randalls kaum
ein Wort gewechselt. Elaine hatte den Eindruck, ihre Worte
würden von den Wänden widerhallen und schaute sich
ängstlich um – niemand schien sich um sie zu kümmern. Die
anderen Esser waren offensichtlich viel zu sehr mit ihren
gedünsteten Krebsen beschäftigt, und die Trinker starrten
versunken in ihre Gläser.
»Ich versteh’ das nicht«, meinte Brad mit einem Blick durch
den verödeten Raum. »Ich hätte erwartet, daß es heute abend
hier voll wird, und sich die Leute über diese Mrs. – wie wahr
doch gleich ihr Name? – unterhalten würden.«
»Miriam Shelling«, half Elaine ihm.
»Mrs. Shelling, ja. Aber soweit ich das beurteilen kann,
scheint sich niemand für sie oder ihr Schicksal zu
interessieren.«
In diesem Augenblick trat Merle Glind an ihren Tisch und
empfahl ihnen seinen Heidelbeerkuchen als Dessert. Brad
lehnte ab, aber Elaine kämpfte mit sich, hin und her gerissen
zwischen ihrem Appetit und dem Gedanken an die Kalorien.
»Recht ruhig hier, heute abend«, versuchte Brad den Wirt in
ein Gespräch zu ziehen.
Glinds Augen musterten flink den Raum. Er sah aus, als ob
er Angst hätte, irgend etwas Ungewöhnliches zu finden. Doch
dann wandte er sich beruhigt wieder Brad zu.
»So wie immer«, sagte er hastig, »so wie immer.«
»Ich hätte gedacht, daß es heute voll wird, nach dem, was
geschehen ist«, tastete Brad sich vorsichtig weiter voran.
»Nach dem, was geschehen ist?« fragte der kleine Mann.
»Was soll denn geschehen sein?«
»Nun, ich dachte, die Leute würden sich darüber unterhalten
wollen.«
»Worüber denn?« fragte Glind verständnislos.
»Mrs. Shelling«, meinte Brad, »ich meine, ist es denn hier
alltäglich, daß eine Frau Selbstmord begeht?«
»Nein, eigentlich nicht«, erwiderte Glind und schien über
etwas nachzudenken. »Aber diese Sache geht uns hier auch
nicht viel an«, fuhr er dann überraschend fort.
Elaine hob die Augenbrauen und starrte ihn an. »Ich dachte
immer, so etwas geht alle an, vor allem, wenn es in einer so
kleinen Stadt geschieht, wo jeder jeden kennt und sich um ihn
kümmert.«
»Das ist hier auch so«, antwortete Glind, »aber die Shellings
gehörten nicht richtig zu uns.«
»Ich
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