Am Strand des Todes
widerwillig
schlüpfte er in seine Uniform und verwandte dann einige Zeit
darauf, die Krawatte besonders sauber zu binden. Als er in den
Spiegel sah, erhellte ein zufriedenes Grinsen sein Gesicht. Die
scharf geschnittenen, ernsten Züge und die tadellos sitzende
Uniform gaben ihm das Aussehen eines Musterpolizisten –
genau wie auf den Rekrutierungsplakaten.
Langsamer als sonst fuhr er in den Ort hinein. Erst als er in
die Harbor Road einbog und die Galerie der Palmers vor sich
sah, wurde ihm klar, was ihn die ganze Zeit bedrückt hatte. Er
hielt an und starrte nachdenklich vor sich hin. Gestern
nachmittag war er mehr als erleichtert gewesen, als er die
Galerie verschlossen fand. Kurz hatte er daran gedacht, zur Sod
Beach rauszufahren, es jedoch rasch wieder verworfen. Whalen
konnte ihm keinen Vorwurf machen; immerhin hatte er
versucht, Palmer aufzusuchen. Natürlich wußte er, warum er
keine Lust verspürte, an den Strand rauszufahren und Palmer
auszufragen. Doch heute morgen konnte er der unangenehmen
Verpflichtung nicht mehr ausweichen. Sauber aufgereiht stand
eine Reihe von Gemälden vor der Galerie und zeigte an, daß
ihr Inhaber anwesend war.
Er stieg aus dem Wagen und schlug fast mißmutig die Tür
zu. Als er gerade eintreten wollte, fesselte eines der Bilder
seinen Blick. Es war ein Ölbild des alten Baron-Hauses
draußen am Strand, doch irgend etwas daran war sonderbar.
Chip blickte es sich genauer an. Und da sah er es: Hinter einem
der Fenster schien ein Schatten zu lauern. Es war, als ob sich
jemand im Haus befand, der sich verbergen wollte. Doch der
Künstler hatte die Erscheinung auf sein Bild gebannt. Chip
fröstelte plötzlich – er kannte diesen Schatten. Träumte er etwa
noch immer? Ohne sich dessen bewußt zu sein, lockerte er
seine Krawatte und trat ein.
Glen Palmer blickte von der Ausstellungsvitrine auf, die er
gerade strich. Als er Chip Connor erkannte, überflutete ihn eine
Welle der Feindseligkeit. Trotzdem richtete er sich lächelnd
auf.
»Sagen Sie ja nicht, ich hätte gegen das Gesetz verstoßen«,
empfing er ihn.
»Nicht, soweit mir bekannt ist«, erwiderte Chip. »Ich habe
mir gerade Ihre Bilder angeschaut. Sie gefallen mir.«
»Das freut mich – wollen Sie eines davon haben?«
»Gern, wenn Sie es verschenken wollen«, grinste Chip.
»Aber, sagen Sie, das eine mit dem alten Baron-Haus…?«
»Kostet zweihundert Dollar«, sagte Glen rasch und grinste
zurück, »einschließlich des Rahmens.«
»Wirklich geschenkt, aber trotzdem zu teuer – doch etwas
anderes… Es mag vielleicht dumm klingen, aber ich würde
gern wissen, wer in dem Haus ist?«
Glen musterte den Polizisten. »Das haben Sie bemerkt, Sie
scheinen wirklich scharfe Augen zu haben.«
Chip ignorierte das Kompliment und erklärte seine Neugier.
»Irgendwie meine ich den Schatten zu kennen. An wen dachten
Sie, als Sie ihn malten?«
Glen war sich noch immer nicht sicher, worauf sein
Besucher hinauswollte. Er erinnerte sich, wie er das Bild vor
einigen Wochen gemalt hatte. Damals wollte er es eigentlich
schon als fertig zur Seite stellen, als er plötzlich aus einem
Impuls heraus noch diesen Schatten ins Fenster gemalt hatte.
Erst danach erschien es ihm wirklich als vollendet.
»Und warum interessiert Sie das so sehr?«
Chip hob unsicher die Schultern; wahrscheinlich hielt der
andere ihn für einen Narren. »Ich weiß auch nicht; es ist nur –
einen Augenblick lang dachte ich, es sei Harney Whalen.«
Glen hob überrascht die Brauen, doch dann hellte sich sein
Gesicht auf. »Aber das wäre ja nur natürlich, schließlich ist es
sein Haus, nicht wahr? Doch als ich es malte, hatte ich
eigentlich niemand Besonderen im Sinn. Jeder sollte sich
darunter vorstellen, wen er mochte.«
Chip war sich noch immer unklar, wie er auf den
eigentlichen Grund seines Besuchs kommen konnte. So leicht
war Harney Whalens Neugier nicht zu befriedigen.
»Verkaufen Sie viel?«
»Bis jetzt noch nicht. Um ehrlich zu sein – heute ist der erste
Tag, an dem ich die Bilder ausstelle; aber es ist ja noch früh.
Jeden Augenblick rechne ich mit ganzen Horden von
Kunden…«
»Zu dieser Jahreszeit kommen kaum Touristen«, versuchte
Chip zu trösten. »Und die meisten fahren hier sowieso nur
durch.«
»Nächsten Monat müßte es besser werden«, meinte Glen,
»ich dachte eben, ich versuch’ mal mein Glück, vielleicht
interessiert sich doch jemand dafür.« Er lächelte. »Und ich
behielt recht – Sie tauchten plötzlich auf…«
Chip nickte und
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