Am Strand von Acapulco
Valencia und Barquisimete vorbeigeführt hatte, war die Reise auf der Autobahn angenehm verlaufen, zumal sich ihnen fast die ganze Zeit eine großartige Aussicht geboten hatte. Etwa um fünf Uhr erreichten sie den See von Maracaibo, der im Norden in die Karibik mündete. Die sieben Kilometer lange Brücke von einer Festlandseite zur anderen war ein architektonischen Meisterwerk und mit Sicherheit eine Sehenswürdigkeit. Aber das von Industrieanlagen umstandene Seeufer konnte mit der Schönheit Caracas' nicht verglichen werden.
Danach hielten sie sich Richtung Süden, um nach Puerto Roca zu gelangen. Die Fahrt dorthin gestaltete sich nicht mehr so angenehm, da die Straße sehr kurvenreich war und zahlreiche Schlaglöcher aufwies.
„Wir sind ja bald da!" erklärte John, als er Ruths Gesicht sah, und machte sie auf die enorme Größe des Sees von Maracaibo aufmerksam. „Er ist vierzehn Kilometer lang, neunzig Kilometer breit und bis zu fünfzig Meter tief. Er wird von buchstäblich Hunderten von Flüssen und Bächen gespeist, die aus den Anden und der Sierra de Perija ins Tal fließen. Einige Experten behaupten, der See sei eigentlich ein Fluss, zumal er eine Strömung aufweist."
„Besteht denn der gesamte See aus Süßwasser?"
„Nun, nicht ganz. Wo er Zugang zur Karibik hat, ist er den Gezeiten unterworfen, wodurch auch Salzwasser eindringt.
„Aha!" Die Ölfördertürme, die, einem Wald gleich, im Wasser standen, wirkten im Licht der Abenddämmerung irgendwie bedrohlich. Bald wäre es ganz dunkel, und es war noch nicht einmal sechs Uhr. Auch das unterschied sich von England.
Als sie in Puerto Roca ankamen, war es tatsächlich bereits stockdunkel, aber natürlich verfügte die Siedlung über eine Straßenbeleuchtung. Viele Bewohner hatten es sich auf der Veranda ihres Hauses gemütlich gemacht, hörten leise Musik oder unterhielten sich.
Ob ich die Menschen wohl schon bald kennen lernen werde? fragte sich Ruth. Aber im Augenblick sehnte sie sich eigentlich mehr nach einer Dusche, einem großen Bett - und Patrick.
„Da wären wir!" John parkte den Wagen vor einem der Bungalows, die einander glichen wie ein Ei dem anderen, bevor er auf die Hupe drückte und ausstieg.
Ruth sah zur Eingangstür und erwartete, jeden Augenblick Patrick auf der Schwelle zu sehen, der sie freudig begrüßte. Aber es rührte sich nichts, obwohl Licht im Haus brannte, und so stieg auch sie aus. Von der langen Fahrt fühlte sie sich wie erschlagen, aber viel schlimmer empfand sie den Umstand, dass Patrick jetzt schon wieder nicht tat, was sie von ihm erwartete. Auch John schien verwundert und lief kopfschüttelnd zur Haustür, um anzuklopfen.
Einen Augenblick später ging tatsächlich die Tür auf, und Ruth beschleunigte den Schritt, aber da erschien ein schlankes dunkelhaariges Mädchen auf der Schwelle. Wer war denn das? Hatte John vor dem falschen Bungalow geparkt? Als Ruth ihm einen fragenden Blick zuwarf, schüttelte er den Kopf und sagte zu dem Mädchen: „Hallo, Elena! Wo ist Patrick?"
„Nach Caracas gefahren, um euch zu suchen."
„Was?" rief John verwundert. „Warum denn?"
„Weil er sich Sorgen gemacht hat. Schließlich ist die Senora gestern Nacht nicht in ihrem Hotel gewesen."
„Ach, du meine Güte! Dass er direkt im Hotel anrufen könnte, haben wir natürlich nicht bedacht. Und mein Handy habe ich wahrscheinlich unterwegs nicht gehört."
„Ich kann alles erklären!" mischte sich jetzt Ruth ein, aber John unterbrach sie. „Bei Elena brauchen wir uns nicht zu ent schuldigen. Warten wir lieber, bis Patrick zurück ist."
Er wandte sich wieder an das venezolanische Mädchen. „Wie lange ist er denn schon weg?"
„Er ist gleich gestern Abend losgefahren ..."
„Na, hoffentlich haben sie ihn in meinem Hotel richtig informiert!" John stützte sich mit der Hand an der Tür ab. „Wie auch immer, Elena, erst einmal vielen Dank. Du kannst jetzt gehen. Ich zeige Patricks Frau, wo alles ist."
Elena schien das nicht zu gefallen. „Patrick hat mic h gebeten, so lange zu bleiben, bis er wiederkommt."
„Ja, aber nur, falls er vor uns hier sein sollte", erwiderte John trocken. „Mrs. Hardy möchte jetzt in Ruhe auspacken. Aber wenn du dich unbedingt nützlich machen willst, kannst du ja Wasser aufsetzen und Kaffee kochen." Über die Schulter warf er Ruth einen fragenden Blick zu: „Oder wäre dir Tee lieber?"
Gerade als Ruth antworten wollte, rief Elena: „Ich bin keine Dienerin, und bestimmt koche ich keinen
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