Am Strand von Acapulco
nach Caracas kaum mit John unterhalten hatte, weil sie so von der Landschaft beeindruckt gewesen war, fühlte sie sich irgendwie mit ihm verbunden. Immerhin war er der einzige Mensch, den sie hier kannte - und die einzige Verbindung zu Patrick, so dass sie ihn am liebsten bei sich behalten hätte. Sie räus perte sich. „Wo gehst du denn hin?"
„Ich habe noch etwas Geschäftliches zu erledigen, dann muss ich in meinem Hotel einchecken. Aber danach hole ich dich zum Essen ab, wenn dir das recht ist."
„Na klar! Aber steigst du denn nicht auch hier ab?"
„Bestimmt nicht!" John sah noch einmal an der beeindruckenden Fassade hoch. „Aber du hast es hier wie zu Hause."
Mehr brauchte Ruth nicht zu hören. Sie ging zum Hotelpagen und lächelte ihn freundlich an, bevor sie ihm ihr Gepäck wieder aus der Hand nahm, um es zurück in den Kofferraum zu hieven.
John war entsetzt und versuchte, ihr zu helfen. „Das solltest du aber in deinem Zustand nicht tun!"
Patrick hatte ihm also von ihrer vermeintlichen Schwangerschaft erzählt. Na, irgendwie musste er ja begründen, dass er als eingefleischter Junggeselle plötzlich eine Frau aus dem Hut zauberte. „Meinetwegen nimm du die Koffe
r, John", sagte sie
schließlich. „Aber ich bleibe heute Nacht nicht hier, verstanden?"
John sah sie an, als wäre sie verrückt geworden, weil sie die Möglichkeit ausschlug, eine Nacht in diesem Hotel zu verbringen. Er wusste ja nicht, dass sie in den ersten Adressen der Fifth Ave nue ein-und ausging. Doch Ruth war längst klar, dass das Leben in Venezuela eine enorme Umstellung bedeuten würde, warum also nicht gleich damit anfangen?
Noch einmal versuchte John, sie umzustimmen, bevor er sich entschuldigend an den völlig verwirrten Hotelpagen wandte und ihm auf Spanisch erklärte, dass die „Seflora" es sich anders überlegt habe. Daraufhin verstaute er ihre Koffer, hielt ihr die Beifahrertür auf und ging um den Wagen, um wieder hinter dem Steuer Platz zu nehmen. Dabei warf er Ruth einen vorwurfsvollen Blick zu und erklärte: „Das wird Patrick aber nicht gefallen."
„Ich sorge schon dafür, dass du deswegen keine Probleme bekommst."
„Dann willst du also wirklich in meinem Hotel übernachten?"
„Warum nicht?"
Das „Hotel de las Flores" lag in der Altstadt. Leider waren nach den großen Erdbeben im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert nicht mehr viele der alten spanischen Kolonialbauten übrig geblieben, aber hier und da erhaschte man noch einen Blick auf die Vergange nheit, und oberhalb der Plaza Bolivar, wo sich die steilen Gässchen erhoben, eröffnete sich dem Fremden und dem Einheimischen so mancher baumbestandener, von alten Fassaden gesäumter Platz, der die Atmosphäre und Eleganz früherer Zeiten erahnen ließ.
Ruths Zimmer war durchaus annehmbar, auch wenn es anstelle der Klimaanlage nur einen altmodischen Deckenventilator besaß. Von ihrem Fenster aus konnte sie den Hotelgarten einsehen, in dem herrlich farbenfrohe tropische Blumen und Büsche gediehen, wie man sie in England nur in Gewächshäusern fand. Mit Namen hätte Ruth nur einige wenige benennen können, darunter Jasmin, verschiedene Wolfsmilchgewächse und Bougainvilleen, deren Blüten jetzt teilweise im Schatten eines vergleichsweise riesigen Trompetenbaums lagen, den es zu Hause nur als maximal zwei Meter hohe Pflanze gab. Kolibris labten sich am Nektar seiner typisch geformten Blüten, und Ruth war erstaunt, wie winzig diese Vögel tatsächlich waren. Bei Fernsehsendungen wurde einem das gar nicht so bewusst.
Sie beschloss, zu duschen und sich danach noch eine Weile aufs Bett zu legen und auszuruhen. In zwei Stunden würde sie sich im hoteleigenen Restaurant mit John treffen, der bis dahin seinen Geschäftstermin abgewickelt zu haben gedachte. Für den Abend wählte sie ein Kleid aus kühlem Leinen und verließ gegen neunzehn Uhr das Zimmer, um ihre Verabredung mit John wahrzunehmen.
„Wie gefällt dir dein Zimmer?" fragte er, nachdem sie sich ge setzt hatte.
„Es ist hübsch. Ohnehin finde ich es hier viel besser als in dem hypermodernen Klotz von vorhin." Zufrieden sah sie sich in dem kleinen Restaurant um. „Diese weißen geschnitzten Raumteiler sind doch einfach super, und die Blumenpracht im Garten ist ja wohl kaum zu übertreffen." Sie seufzte zufrieden. „Ich hätte nie gedacht, dass es in Venezuela so schön sein kann."
„Das ist es wirklich." John hob sein Glas, um mit Ruth anzustoßen. „Aber Puerto Roca ist mit Caracas
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