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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Augen geheftet, das Gesicht entspannt, die Miene schwer zu deuten. Ihr Atem ging so stetig und ruhig, als würde sie schlafen. Er flüsterte ihren Namen und sagte noch einmal, daß er sie liebte, und sie blinzelte, öffnete die Lippen, um ihm zuzustimmen oder um seine Worte zu erwidern. Mit der freien Hand begann er, ihr Höschen auszuziehen. Sie verkrampfte sich, wehrte ihn aber nicht ab und hob, ein wenig zumindest, ihr Gesäß. Erneut der traurige Laut der Matratzenfedern, viel-leicht auch des Bettgestells, fast wie das Blöken eines Osterlamms. Selbst wenn er die freie Hand weit ausstreckte, konnte er unmöglich ihren Kopf in seiner Armbeuge liegen lassen und gleichzeitig den Schlüpfer über die Knie bis zu den Knöcheln hinunterziehen. Sie half ihm, indem sie die Beine anzog. Ein gutes Zeichen. Er wagte nicht, es noch einmal mit dem Reißverschluß zu versuchen, deshalb mußte der BH - blaßblaue Seide, hatte er gesehen, hübsch mit Spitze verziert - vorläufig bleiben, wo er war. So viel zur nacktleibigen, schwerelosen Umarmung. Doch Florence war schön, wie sie da lag, ihr Kopf auf seinem Arm, einige wilde Strähnen aufgefächert auf dem Überwurf, das Kleid über die Schenkel hochgeschoben. Eine Sonnenkönigin. Wieder küßten sie sich. Ihm war schlecht vor lauter Verlangen und Unentschlossenheit. Um sich ausziehen zu können, würde er diese vielversprechende Anordnung ihrer Körper stören und damit riskieren müssen, daß er den Bann brach. Die kleinste Veränderung, ein Zusammentreffen von Zufällen, winzige Zephire des Zweifels, und Florence könnte sich anders entscheiden. Doch glaubte er fest daran, daß es ordinär wäre, wenn sie zum ersten Mal miteinander schliefen und er dazu nur seinen Reißverschluß öffnete, ordinär und unsinnlich. Und unhöflich.
    Also wich er kurz von ihrer Seite und zog sich rasch am Fenster aus, in respektvollem Abstand, um das Bett frei von solchen Banalitäten zu halten. Mit den Füßen streifte er die Schuhe, mit raschen Daumenstößen die Socken ab. Er merkte, daß sie ihn nicht ansah, sondern den Blick nach oben auf den durchhängenden Betthimmel gerichtet hielt. Sekunden später war er nackt bis auf Hemd, Schlips und Armbanduhr. Das Hemd, das seine Erektion wie ein verhülltes Denkmal halb hervorhob, halb verbarg, schien irgendwie zu der von ihr vorgegebenen Kleiderordnung zu passen. Der Schlips war ganz offensichtlich absurd, und er riß ihn sich, während er zu ihr zurückging, mit der einen Hand vom Hals, um danach mit der anderen den obersten Hemdknopf zu öffnen. Es war eine vertraute, selbstbewußte Geste, und einen Augenblick lang sah er wieder das Bild vor sich, das er einmal von sich gehabt hatte: ein etwas ruppiger, letztlich aber grundanständiger und fähiger Kerl, dann verblaßte es wieder. Der Geist von Harold Mather machte ihm noch immer zu schaffen.
    Florence beschloß, sich nicht aufzurichten oder ihre Stellung zu verändern; sie blieb auf dem Rücken liegen und starrte die keksfarbene, gefältelte, von Säulen getragene Tuchbahn an, die wohl das alte England steinkalter Schlösser und höfischer Liebe heraufbeschwören sollte. Sie konzentrierte sich auf die Webfehler, auf einen grünen münzgroßen Fleck -wie war er dort hingekommen? - und auf einen losen, im Windhauch flatternden Faden. Sie versuchte angestrengt, nicht an die unmittelbare Zukunft zu denken, auch nicht an die Vergangenheit, und sie stellte sich vor, wie sie sich an diesen Moment klammerte, an die kostbare Gegenwart, als wäre sie eine im Seil hängende Bergsteigerin, die das Gesicht in den Stein drückt, sich an die Felswand preßt und sich nicht zu rühren wagt. Kühle Luft fächelte angenehm über ihre nackten Beine. Sie lauschte den fernen Wellen, dem Schrei der Heringsmöwen und Edward, der sich auszog. Und dann drängte sich die Vergangenheit, die so undeutlich erinnerte Vergangenheit, doch noch zu ihr vor. Es war der Meergeruch, der alles heraufbeschwor. Sie war zwölf Jahre alt, lag reglos wie jetzt, wartete nackt und zitternd in einer schmalen Koje aus lackiertem Mahagoni. Ihr Kopf war leer; sie fühlte, daß sie Schande über sich brachte. Nach zweitägiger Überfahrt lagen sie wieder einmal im ruhigen Hafen von Carteret vor Anker, südlich von Cherbourg. Es war spät am Abend, und ihr Vater zog sich im Zwielicht der engen Kabine aus, genau wie Edward es gerade tat. Wieder hörte sie das Rascheln seiner Kleider, das
    Klirren, mit dem der Gürtel geöffnet wurde, das

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