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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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klimpernde Kleingeld, einen Schlüsselbund. Sie aber mußte die Augen geschlossen halten und an eine Melodie denken, die ihr gefiel, an irgendeine Melodie. Wieder überkam sie der süßliche Geruch von halbvergammelten Lebensmitteln in einem stickigen Schiff nach rauher Überfahrt. Auf jedem Segeltörn wurde ihr viele Male schlecht, weshalb sie für ihren Vater an Bord keine große Hilfe war, und deshalb hatte sie sich wohl immer so sehr geschämt.
    Ebensowenig gelang es ihr, die unmittelbare Zukunft zu verdrängen. Sie hoffte, daß bei dem, was ihr nun bevorstand, jenes angenehme, sich warm ausbreitende Gefühl von vorhin wieder aufkommen, daß es wachsen, sie überwältigen, ihre Angst betäuben und sie von aller Schande erlösen würde. Doch es schien ihr unwahrscheinlich. Die Erinnerung an ihre Empfindung, daran, wie es sich von innen anfühlte, war schon wieder zu einer trockenen historischen Tatsache verkümmert. Das war einmal gewesen, so wie die Schlacht bei Hastings. Dennoch, sie hatte nur diese eine Chance, und die war kostbar wie hauchzartes antikes Kristallglas, äußerst zerbrechlich und ein weiterer guter Grund, sich nicht zu bewegen.
    Sie spürte, wie die Matratze nachgab und das Bett bebte, als Edward sich zu ihr legte und sein Gesicht statt des Baldachins über ihr auftauchte. Willig hob sie den Kopf, damit er den Arm erneut wie ein Kissen darunterschieben konnte. Dann zog Edward sie an sich, und sie konnte in die Dunkelheit seiner Nasenlöcher spähen, erkannte im linken ein einzelnes gekrümmtes Haar, das wie ein alter, gebeugter Mann vor einer Grotte stand und bei jedem Ausatmen zitterte. Ihr gefielen die stark ausgeprägten Linien der wie ein Schild geformten Kerbe über der Oberlippe. Rechts von der Nase war ein rosiger Fleck, ein winziger, aufgewölbter Nadelkopf, der Beginn oder der verblassende Überrest eines Pickels. An ihrer Hüfte spürte sie seine Erektion, pochend, hart wie ein Besenstiel, doch zu ihrer eigenen Verwunderung machte ihr das nichts aus. Nur hinsehen, das wollte sie nicht, jetzt jedenfalls noch nicht.
    Um ihr Wiederbeisammensein zu besiegeln, senkte er den Kopf, und sie küßten sich, wobei seine Zunge nur flüchtig ihre Zungenspitze streifte, wofür sie ihm dankbar war. Unten im Aufenthaltsraum war es still geworden - kein Radio mehr, keine Gespräche -, also flüsterten sie ihr »Ich liebe dich«. Auch wenn sie noch so leise miteinander redeten, beruhigte sie das, diese nie versagende, sie verbindende Formel, und das allein bewies gewiß, wie ähnlich ihre Bestrebungen waren. Florence fragte sich, ob sie es nicht doch schaffen könnte, ob sie nicht stark genug sein und so überzeugend wirken könnte, daß sie später, bei nachfolgenden Gelegenheiten, die Angst durch bloße Vertrautheit zu bezwingen vermochte, bis es ihr schließlich gelang, echte Lust zu empfinden und auch zu schenken. Er brauchte nie davon zu erfahren, jedenfalls nicht, bis sie es ihm wie eine lustige Geschichte aus der Geborgenheit ihres neuen Vertrauens heraus erzählte - von jener Zeit damals, als sie noch ein unwissendes Mädchen war und grausig unter ihren dummen Ängsten litt. Schon machte es ihr nichts aus, daß er ihre Brüste berührte, obwohl sie früher zurückgezuckt wäre. Noch gab es für sie also Hoffnung, und bei diesem Gedanken schmiegte sie sich enger an seine Brust. Sicher hatte er das Hemd anbehalten, weil die Kondome in der oberen Tasche steckten und er sie so leichter erreichen konnte. Seine Hand glitt an ihrem Körper herab und zog den Saum wieder über ihre Taille hoch. Er hatte sich stets über die Mädchen aus geschwiegen, mit denen er ins Bett gegangen war, aber sie zweifelte keinen Augenblick an seiner reichen Erfahrung. Durch das offene Fenster wehte eine sommerliche Brise herein und kitzelte ihr entblößtes Schamhaar. Sie hatte sich schon zu weit auf fremdes Terrain vorgewagt, um noch umkehren zu können.
    Florence war nie auf den Gedanken gekommen, das Vorspiel ihrer Liebe könnte wie eine Pantomime in solch intensiver, angespannter Stille ablaufen. Doch was wußte sie außer den drei offensichtlichen Worten schon zu sagen, das nicht dumm und falsch klang? Und da er stumm blieb, nahm sie an, es müsse wohl so sein. Trotzdem wäre es ihr lieber, sie flüsterten sich alberne Liebesschwüre zu, so wie damals, als sie in ihrem Schlafzimmer in Nordoxford vollständig angezogen auf dem Bett gelegen und den Nachmittag vertändelt hatten. Florence mußte ihn nah bei sich spüren,

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