Am Tag, als die Liebe kam
von sich hören ließ.
Als sie Lily den Kaffee für ihren Verlobten bringen wollte, stand der Tee immer noch unberührt vor der Zimmertür. Sie klopfte nachdrücklich, erhielt aber keine Antwort.
Kurz entschlossen öffnete sie die Tür einen Spalt und spähte ins Zimmer. Das Bett war unberührt, und das Zimmer wirkte unbewohnt. Lily musste sich also doch entschlossen haben, die Verlobungsnacht nicht allein zu verbringen.
Louise brachte Kaffee und Tee zurück in die Küche. „Die Herrschaften schlafen noch“, informierte sie Mrs. Gladwin. „Ich fahre schnell ins Dorf, um die Zeitungen zu holen.“
Wieder wählte sie den Umweg, um an Davids Haus vorbeizukommen. Die Gardinen vor seinem Schlafzimmer waren noch zugezogen, doch sein Auto stand nicht in der Einfahrt. Wahrscheinlich ist er schon unterwegs zu mir, dachte Louise erfreut.
Sie wurde allerdings enttäuscht. Auch im Virginia Cottage war David nicht. Stattdessen traf sie auf Alex Fabian, der einen Rundgang durch den Garten machte. Ihn hatte sie so früh nun wirklich nicht erwartet!
Und sie wollte ihn auch gar nicht sehen! Fieberhaft überlegte sie, wie sie ihm am besten aus dem Weg gehen konnte. Bevor ihr etwas eingefallen war, hatte er sie allerdings schon entdeckt und kam näher.
„Guten Morgen“, begrüßte er sie. „Haben Sie gut geschlafen?“
„Ja, danke.“ Louise wich seinem Blick aus. „Und Sie?“
„Nicht besonders – der Kaffee war wohl doch zu stark.“
„So?“ Sie rang sich ein Lächeln ab. „Hat Lily sich beschwert?“
„Lily? Was hat Lily denn damit zu tun?“
Louise errötete. „Ich wollte Lily den Tee bringen. Sie war nicht in ihrem Zimmer.“
Alex legte ihr die Hand auf den Arm. „Sehen Sie mich an!“ befahl er. „Wovon reden Sie? Ich habe Lily das letzte Mal gesehen, als sie sich gestern Abend um halb zehn so auffällig früh von mir verabschiedet hat. Ich weiß nicht, wo sie die Nacht verbracht hat – in meinem Bett jedenfalls nicht.“
Er umfasste ihren Arm und zwang sie, mit ihm ins Haus zu gehen. Louise versuchte sich zu befreien. „Ich möchte nicht …“
„Sie müssen! Wir gehen jetzt in Lilys Zimmer und sehen nach, ob ihre Sachen noch da sind.“
Das hatte ich wirklich nicht erwartet, dachte Louise, als sie neben Alex die Treppe hochging. Lily hat sich ein Herz gefasst und ist ihrem Verlobten doch noch davongelaufen!
„Nun?“ Alex blickte sich prüfend im Zimmer um.
„Der Koffer, den sie aus London mitgebracht hatte, fehlt.“ Louise öffnete die Schranktür und zog die Schubladen der Kommode auf. „Sie hat einen großen Teil ihrer Garderobe und Unterwäsche mitgenommen.“
„Und dafür dies hinterlassen“, bemerkte er grimmig und ging zum Nachttisch, um die beiden Briefe zu nehmen, die an der Lampe lehnten. „Einer für Sie, einer für mich. Möchten Sie Ihren öffnen?“
„Natürlich!“ Sie fand seine Frage sonderbar. „Ich mache mir große Sorgen. Hoffentlich ist ihr nichts passiert!“
„Ich glaube, Sie unterschätzen den Selbsterhaltungstrieb Ihrer Stiefschwester gewaltig“, bemerkte er, als er ihr den Brief reichte.
Louise konnte ihren Namen nur erraten, so undeutlich war er geschrieben. Der Brief bestand aus zwei kurzen Sätzen, die ebenso unleserlich waren. „Es tut mir alles so furchtbar Leid“, entzifferte sie schließlich. „Versuch bitte, mich zu verstehen, und verzeih mir.“
Sie drehte sich zu Alex um, der die zwei für ihn bestimmten und dicht beschriebenen Seiten mit spitzen Fingern anfasste, als könnte er sich damit beschmutzen. „Lily bittet mich um Verzeihung“, erklärte sie. „Warum nur? Weil sie weggelaufen ist?“
„Nicht nur deshalb.“ Er sah sie an, und sie entdeckte eine ganz neue Seite an ihm, denn zum ersten Mal wirkte er ehrlich betroffen. „Lily ist nämlich nicht allein gegangen.“
Louise war so schockiert, dass sie schwieg. Sie rang immer noch nach Worten, als ihr Vater plötzlich ins Zimmer kam. Offensichtlich war er völlig irritiert.
„Louise, würdest du bitte sofort ans Telefon kommen? Mrs. Sanders ist am Apparat. Sie ist zu durcheinander, um auch nur einen Satz zu Ende zu bringen. Sie sagte etwas von Lily und David – sie muss verrückt geworden sein.“
„Leider nicht.“ Alex stellte sich vor sie, damit ihr Vater nicht sehen konnte, wie entsetzt sie war und dass sie mit den Tränen kämpfte. „Mrs. Sanders hat allen Grund, fassungslos zu sein. Ihr Sohn ist mit meiner Verlobten durchgebrannt – die beiden wollen heiraten.
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