Am Ufer der Traeume
Irgendetwas muss der Herrgott gegen uns haben, dass er uns das Leben so schwer macht.« Sie blieb stehen und atmete den würzigen Geruch des frischen Salbeis ein. »Aber wir Iren sind stark. Wir lassen uns nicht unterkriegen ... niemals!«
Während der folgenden Tage ging sie dem Wagenboss aus dem Weg. Er hatte sich in sie verliebt, daran bestand kein Zweifel, und sie wollte ihn nicht ermutigen. Sie fand ihn sympathisch, ein Mann, den sie gern zum Bruder gehabt hätte, aber ihre Liebe galt allein Bryan, dem jungen Iren, den sie nun schon seit beinahe zwei Monaten nicht mehr gesehen hatte. Sie sehnte sich mit jeder Faser ihres Körpers nach ihm, sah sein Gesicht in ihren Träumen und hatte sein Lächeln vor sich, wenn sie tagsüber auf dem Kutschbock saß und die Sonne im Gesicht spürte. Er war der Mann, den der Herrgott für sie ausgesucht hatte. Mit ihm würde sie nach Texas gehen, und nicht einmal die Comanchen würden sie aus ihrer neuen Heimat vertreiben können ... niemals!
Doch der Weg in die Freiheit war gefährlich, und nicht nur die Indianer gefährdeten ihre neue Zukunft. Ungefähr fünf Wochen nach ihrer Abreise aus Independence ging erneut ein schweres Gewitter über der Prärie nieder. Es blitzte und donnerte und der Regen rauschte in wahren Sturzbächen auf das Land herab. Die tiefen Furchen, die den Trail markierten, verschwanden im Morast, und die Männer schrien aus Leibeskräften und ließen ihre Bullpeitschen knallen, um die Ochsen anzutreiben, denn schon das geringste Zögern konnte den Wagen und die Tiere so tief im Schlamm versinken lassen, dass sie nicht mehr weiterkamen. »Vorwärts! Vorwärts!«, hörte Molly die Kutscher rufen, dazwischen heftiger Donner, der den Boden zum Zittern brachte, und sintflutartiger Regen, wie sie ihn in New York niemals erlebt hatte.
Sie brauchten einen halben Tag, um die letzten Meilen zum Arkansas River zurückzulegen, eine Entfernung, für die ein Wagenzug sonst höchstens zwei Stunden benötigte, und als sie das Ufer endlich erreichten und der Regen so plötzlich aufhörte, wie er gekommen war, waren sie und die Tiere so erschöpft, dass an eine Weiterfahrt nicht zu denken war. Der Fluss war durch den Regen stark angeschwollen und an einigen Stellen sogar über die Ufer getreten. Es würde zwei oder drei Tage dauern, bis er wieder passierbar war.
Die Männer nutzten die Wartezeit, um die Wagen zu reparieren und zu säubern und sich von den Strapazen der letzten Tage zu erholen. Die Ochsen weideten im kniehohen Gras. Molly zog ihre nassen Kleider aus, hüllte sich in eine Wolldecke und wartete am großen Lagerfeuer, bis ihre Lederkleidung trocken war. Sie schlief allein im Wagen. Miller übernachtete bei einigen befreundeten Kutschern und leerte mit ihnen eine weitere Flasche Whiskey. Molly hörte ihre derben Witze bis in ihren Wagen, konnte aber nicht darüber lachen. Als Calhoun ihnen die Flasche wegnahm, sie ins Gras warf und ihnen drohte, sie zurückzulassen, war sie bereits eingeschlafen.
Früh am Morgen erwachte sie. Sie schälte sich aus ihren Decken und zog sich an, kletterte vom Wagen und ging zum Flussufer hinab. Die meisten Männer schliefen noch. Aus einigen Wagen und Zelten drang lautes Schnarchen. Sie wusch sich notdürftig, band ihre Haare zu einem Knoten und stülpte ihren Hut darüber, stand auf und reckte sich seufzend. Jetzt sehe ich schon beinahe wie die Kutscher aus, dachte sie, als sie ihr schemenhaftes Spiegelbild im Wasser sah. So würde sie Bryan bestimmt nicht gegenübertreten.
Sie blickte über den Fluss, der immer noch angeschwollen war, zum anderen Ufer hinüber und beobachtete, wie sich das Sonnenlicht auf der scheinbar endlosen Ebene ausbreitete. Jenseits des Flusses, so hatte man ihr gesagt, begann das gefährlichste Teilstück des Trails, der Cimarron Cutoff oder die Jornada del Muerto, wie die Mexikaner sie nannten, die kürzeste, aber auch gefährlichste Verbindung nach Fort Union und weiter nach Santa Fe. Die ersten fünfzig Meilen führten durch eine wasserlose Wüste, die schon manchen Händlern und Siedlern zum Verhängnis geworden war, außerdem begannen dort die Jagdgründe der gefürchteten Comanchen, eines Indianerstammes, der schon seit Jahren von seinem Hass auf die Weißen angetrieben wurde.
Beim Anblick der trockenen Wüste, die im ersten Licht der Sonne zu brennen schien, beschlich Molly ein seltsames Gefühl. Unendliche Freude und auch Erleichterung, weil sie der Enge von New York endlich entflohen war
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