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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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sich nicht gründlich genug informiert. Man sagt, dass die Comanchen wieder auf dem Kriegspfad sind. Gefährlichere Krieger gibt es im ganzen Westen nicht. Sogar Siedlungen sollen sie schon angegriffen haben. An große Wagenzüge wie diesen trauen sie sich nicht ran, aber ich war mal bei einem kleineren Treck dabei und konnte von Glück sagen, dass ich meinen Skalp behielt. Ich will Ihnen keine Angst machen, Molly, in großen Städten wie San Antonio oder Galveston haben Sie sicher nichts zu befürchten, und die Rangers sind eine sehr erfolgreiche Polizeitruppe, die werden erst ruhen, wenn sie die roten Halsabschneider gebändigt haben.«
    Molly hatte weder von Comanchen noch von Rangern je etwas gehört, wagte jedoch nicht, dem Wagenboss ihre Unwissenheit zu gestehen. »Wir hatten in New York mit allen möglichen Leuten zu tun«, sagte sie stattdessen. »Italienern, Deutschen, sogar Chinesen. Und in Irland behandelten uns die Engländer wie den letzten Dreck. Schlimmer können die Comanchen auch nicht sein.« Sie blickte ihn von der Seite an und entdeckte ein Grübchen an seinem Kinn. »Und Sie? Haben Sie noch nie daran gedacht, sich niederzulassen?«
    »Beim Anblick einer schönen Frau wie Ihnen schon.« Er vermied es, ihren Blick zu erwidern. »Aber dort, wo ich hinkomme, gibt es meist nur Mexikanerinnen und Indianerinnen, und die haben mit uns Weißen wenig im Sinn. Und die weißen Frauen waren entweder schon verheiratet ... oder verlobt.«
    Gegen Mittag lagerten sie am Ufer eines schmalen Flusses. Die beiden Männer, die ihr schon am Morgen geholfen hatten, spannten ihre Ochsen aus und ließen sie grasen, der Wagenboss zerrte Miller vom Wagen und stieß ihn in das kalte Wasser, ließ ihn so lange paddeln und prusten, bis er wieder einigermaßen nüchtern war, dann füllte er ihn mit heißem Kaffee ab und gab ihm unmissverständlich zu verstehen, dass er ihn allein in der Prärie zurücklassen würde, falls er sich noch einmal etwas zuschulden kommen ließ. »Und was die roten Halunken dann mit Ihnen anstellen würden, können Sie sich ja denken.«
    Molly ertrug den Kutscher nur schwer. Er stank nach Alkohol und Kautabak und in seinen Kleidern, die er seit der Abfahrt nicht gewechselt hatte, war sicher Ungeziefer. Er redete kaum, schien sie die meiste Zeit gar nicht wahrzunehmen und fluchte ungeniert, wenn ihm etwas nicht passte, und das war alle paar Minuten der Fall. Seine Spuckerei war so unappetitlich, dass sie schon würgen musste, wenn sie nur daran dachte, und wenn er nach seiner Whiskeyflasche griff, musste sie sich jedes Mal abwenden, um nicht sehen zu müssen, wie sich der Whiskey in seinem schmutzigen Schnurrbart verfing.
    Ihr einziger Trost waren die Abende, wenn sie an einem Flussufer oder einer Quelle lagerten und sie mit den anderen am Lagerfeuer saß und den Geschichten und Liedern der Händler, Kutscher und Siedler zuhörte. Auf die beiden Siedlerfamilien mit den Kindern nahmen die rauen Männer nur wenig Rücksicht. Es wurde nach Herzenslust geflucht und geschimpft, und einer der Männer brachte es sogar fertig, eine Stunde lang von einer jungen Prostituierten in Kansas City zu schwärmen, ohne eine längere Pause einzulegen.
    Allein Roy Calhoun benahm sich anders. Wie sich herausstellte, war er in einer angesehenen und höchst gebildeten Familie in New England aufgewachsen und von ihr verstoßen worden, als er sich geweigert hatte, auf die Militärschule zu gehen und die Ausbildung zum Offizier zu beginnen. »Für die Armee bin ich nicht geschaffen«, sagte er zu Molly, als sie eines Abends außerhalb der Wagen standen und auf die offene Prärie blickten. »Beim Militär gibt es mir zu viele Regeln, das ging mir schon in der Schule auf die Nerven. Ich bin lieber hier draußen, in einem Land ohne Grenzen. Sobald ich keinen Horizont mehr sehen kann, werde ich nervös.« Seine Augenlider flackerten. »Vielleicht sollte ich auch nach Texas gehen. Dort ist man noch wirklich frei.«
    Sie spürte, wie er dagegen ankämpfte, ihr seine Zuneigung zu erklären oder sie in die Arme zu nehmen, und ging rasch ein paar Schritte. »Sie vergessen die Comanchen, Roy. Haben Sie mich nicht selbst vor ihnen gewarnt?«
    »Freiheit muss man sich erkämpfen«, sagte er, »das war schon immer so. Sehen Sie sich selbst an. Ihnen ist die Freiheit auch nicht in den Schoß gefallen, als Sie aus Irland kamen. Und so ging es beinahe allen Einwanderern.«
    Sie nickte sorgenvoll. »Die Iren haben am meisten zu kämpfen.

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