Am Ufer der Traeume
begrüßten einen Geschäftsmann, der nach der langen Fahrt sichtlich mitgenommen aussah, und einen ebenfalls elegant gekleideten Mann, der ohne Gepäck gekommen war und ein gequältes Lächeln zur Schau trug. Ein Berufsspieler, wie Molly später erfuhr, den man wegen Falschspiels aus Franklin verjagt hatte. Bryan war nicht in der Kutsche. Er kommt sicher mit einem Wagenzug, hoffte sie.
Sie hatte bereits das Fenster geschlossen und war gerade dabei, sich etwas frisch zu machen, als es klopfte. Sie öffnete und sah sich einem mexikanischen Hoteldiener gegenüber, der ihr einen Brief überreichte. »
Perdón
, Señorita Campbell«, sagte er, »ein Brief für Sie. Ist eben mit der Kutsche gekommen.«
Molly gab dem Hoteldiener eine Münze und setzte sich mit dem Brief auf den Bettrand. Der Umschlag war an »Miss Molly Campbell, Santa Fe, NMT« adressiert und trug keinen Absender, aber er kam aus New York und sie ahnte schon jetzt, dass er betrübliche Nachrichten enthielt.
»Liebe Molly«, schrieb Bryan. Sie fuhr mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand an der Zeile entlang und sprach jedes Wort leise mit. »Ich diktiere diesen Brief einem guten Freund, dem ich vertrauen kann. Er war vier Jahre auf einer Schule und kann besser schreiben als ich. Ich hoffe, du bist sicher in Santa Fe angekommen. Mein Freund wird diesen Brief für mich zur Post bringen und hat schon den Postmeister gefragt. Der sagte, mein Brief würde sicher bei dir ankommen, wenn du in Santa Fe wärst, auch wenn ich keine Adresse habe. So viele Hotels und Pensionen gäbe es dort nicht und an eine Frau aus New York würde sich bestimmt jemand erinnern.« Molly blickte amüsiert auf. Sie hatte nicht gerade wie eine Städterin ausgesehen, als sie in ihrer staubbedeckten Kleidung vom Kutschbock gestiegen war. Erwartungsvoll las sie weiter: »Du fragst dich bestimmt schon, wo ich so lange bleibe. Ich wollte eigentlich längst zu dir unterwegs sein, aber hier geht es drunter und drüber. Die Polizei sucht nach mir, obwohl ich inzwischen sicher weiß, dass ich den Polizisten auf keinen Fall angeschossen habe. Ich wage mich kaum aus meinem Versteck. Die Polizisten wissen, wie ich aussehe, und würden mich sofort verhaften. Ohne meine Freunde von den Black Birds wäre ich aufgeschmissen. Es sieht nicht gut aus, Molly. Wenn es um einen ihrer Männer geht, ist die Polizei besonders empfindlich. Selbst wenn ich unerkannt aus New York rauskäme, was zurzeit fast unmöglich ist, wäre ich nicht sicher. Ich bin der Buhmann und man will mich unbedingt erledigen, um ein Zeichen zu setzen. So haben sie das genannt. Sie wollen ein Zeichen setzen, um das Verbrechen in der Stadt einzudämmen. So ein Unsinn! Sollen sie doch lieber für anständige Verhältnisse sorgen! Männer wie Silverstein sind die Schurken!«
Sie hielt inne und blickte auf die kahle Wand. Der Brief las sich beinahe so, als fürchte sich Bryan davor, zur Sache zu kommen. Es folgte ein Absatz, in dem er auf Ausbeuter wie Mister Silverstein schimpfte, und erst dann kam er zum eigentlichen Anliegen seines Briefes: »Ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll, Molly. Vielleicht bin ich schon verhaftet, wenn du diesen Brief liest, und lande für einige Jahre im Gefängnis. Oder ich bin auf der Flucht und renne von einem Versteck zum anderen. Diese Schießerei hat alles verändert. Ich bin fast sicher, dass der Polizist aus Versehen von einem Kollegen angeschossen wurde, aber selbst wenn das stimmen würde, würden sie es doch niemals zugeben. Sie brauchen einen Sündenbock und ich werde wohl ewig auf der Flucht sein. Keine guten Aussichten, nicht wahr? Ich liebe dich wirklich sehr, Molly, aber so ein Leben will ich dir nicht zumuten. Du hast was Besseres verdient. Vergiss mich und fang ein neues Leben an. Ohne mich. Ich hätte bei diesem Mister Silverstein nicht einbrechen sollen, das weiß ich inzwischen auch, aber ich habe es nun mal getan und muss teuer dafür bezahlen. Ich hatte eigentlich vor, dich um deine Hand zu bitten. So sagt man doch hier, wenn man eine Frau heiraten will, oder? Ich wollte dich heiraten und im Westen eine neue Zukunft mit dir aufbauen. Aber ich kann nicht von dir verlangen, auf mich zu warten, denn ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis ich mich wieder einigermaßen frei bewegen kann. Ein paar Jahre bestimmt, und wenn sie mich erwischen und ich ins Gefängnis komme, noch länger. Mach ohne mich weiter, Molly! Heirate einen anderen, einen Mann, der dir mehr bieten kann.
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