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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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aber selbst von Amerikanern nur »La Fonda« genannt wurde. »Herberge«, übersetzte Joaquin Ramirez für sie. Er war gut bekannt mit den Angestellten und sorgte dafür, dass sie ein besonders gemütliches und geräumiges Zimmer im ersten Stock bekam. Sie zahlte für eine Woche im Voraus, hatte danach aber noch genug Geld übrig, um die nächsten Tage im Restaurant essen zu können. Bryan und ihre Schwester waren sehr großzügig gewesen.
    Sie verbrachte die erste Stunde ihres Aufenthalts in einer Badewanne mit heißem Wasser, wusch sich gründlich und sank in einen flauschigen Bademantel gehüllt auf ihr Bett. Sie schlief den ganzen Tag und die ganze Nacht und wachte erst am folgenden Morgen auf, als die ersten Sonnenstrahlen zum Fenster hereinfielen. In einem der Kleider, die sie von ihrer Schwester bekommen hatte, ging sie ins Restaurant im Parterre und gönnte sich ein herzhaftes Frühstück, das sich »Huevos Rancheros« nannte und aus gebratenen Eiern bestand, die mit einer scharfen Tomaten-Chili-Soße auf Maistortillas serviert wurden. Dazu gab es ein schmackhaftes Bohnenmus. Ein ungewohntes Frühstück für Molly, die während der letzten Jahre in New York meist trockene Biskuits in ihren dünnen Tee gebrockt hatte, aber sehr schmackhaft und sättigend und genau das Richtige nach der anstrengenden Reise nach Westen.
    Schon während des Frühstücks wurde Molly auf einen älteren Geschäftsmann aufmerksam, der mit einer Lupe in einer Zeitung las und dabei mehrmals den Kopf schüttelte. Anscheinend gefiel ihm der Artikel nicht. Als der Mann das Restaurant verließ und die Zeitung auf dem Tisch liegen ließ, griff sie zu, bevor der Kellner sie abräumen konnte. Sie ließ das Frühstück auf ihre Rechnung schreiben und zog sich mit der Zeitung auf ihr Zimmer zurück. Als Frau, die sich allein in einem Restaurant aufhielt, erregte sie schon genug Aufsehen, mit einer Zeitung wäre sie noch mehr aufgefallen. Welche Frau las schon Zeitung? Die wenigsten Frauen ihrer Klasse konnten überhaupt lesen.
    Auch sie las nicht besonders flüssig und fuhr mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand an den Zeilen entlang, während sie die Worte entzifferte, hatte aber inzwischen keine Schwierigkeiten mehr, den Inhalt eines Artikels zu verstehen. Die Zeitung war ungefähr zwei Wochen nach ihrer Abreise aus New York erschienen und machte mit einer Schlagzeile über den Zusammenschluss mehrerer Eisenbahnlinien auf und berichtete über einen Empfang des Präsidenten im vornehmen Regent Hotel von New York. Zwei Artikel, die sie überhaupt nicht interessierten. Nervös faltete sie die Zeitung auseinander. Sie suchte nach einer Nachricht über die Schießerei, in die Bryan verwickelt gewesen war, einem Hinweis darauf, ob er der Polizei entkommen war. Erst auf einer der letzten Seiten wurde sie fündig. Unter der Überschrift »New Yorker Polizei erklärt Banden den Krieg« stand dort: »Nach den vermehrten Überfällen und Diebstählen der letzten Monate, die ausnahmslos kriminellen Banden wie den Black Birds und den Flying Dragons zugeschrieben werden, hat sich die New Yorker Polizei entschlossen, mit einer Spezialtruppe gegen die Täter vorzugehen. Auslöser für diesen Entschluss war vor allem der Schusswechsel zwischen der New Yorker Polizei und Mitgliedern der berüchtigten Black-Birds-Bande vor zwei Wochen. Bei dem Versuch, einen Einbruch in die Wohnung des angesehenen Geschäftsmannes Arthur S. Silverstein am New Yorker Union Square zu verhindern, war ein Polizist schwer verletzt worden. Glücklicherweise ist er inzwischen außer Lebensgefahr. Es wird vermutet, dass es sich bei dem Täter um Bryan Halloran handelt, den Anführer der Black Birds. Der Ire soll bereits an mehreren Überfällen auf wohlhabende Bürger beteiligt gewesen sein.«
    Molly blickte von der Zeitung auf und starrte aus dem Fenster, ohne etwas von dem, was draußen vor sich ging, wahrzunehmen. »Bitte, bitte, lass ihn noch in Freiheit sein«, flüsterte sie. Sie wusste, dass man Bryan auf jeden Fall verurteilen würde, selbst dann, wenn er nicht auf den Polizisten geschossen hatte. Auch fehlende Beweise würden daran nichts ändern. Dazu war die Chance, sich der verhassten irischen Bande zu entledigen, viel zu groß.
    Sie ging nervös im Zimmer auf und ab. Wenn es doch nur eine Möglichkeit gegeben hätte, eine neuere Zeitung in die Hände zu bekommen. Dort würde sie hoffentlich einen Hinweis darauf finden, dass Bryan aus New York entkommen und irgendwo im

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