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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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mir kein Blut an den Stoff kommt!«
    Beim Mittagessen trafen sie ihre Mutter wieder. Ihr Gesicht und ihre Hände waren rot vom vielen Dampf in der Waschküche und sie war nach der anstrengenden Arbeit sichtlich erschöpft. Obwohl sie sich um ein Lächeln bemühte und tapfer ihr Schwarzbrot aß und die Buttermilch trank, sah Molly ihr an, dass sie die schwere Arbeit nicht durchhalten würde. Und das karge Mittagessen würde ihr kaum genug Kraft für den langen Nachmittag geben.
    Ohne zu überlegen, stand Molly auf und ging zu der Hausmutter, die mit auf dem Rücken verschränkten Händen hinter den essenden Frauen entlangschlenderte. »Ma’am«, sagte sie höflich, »darf ich Ihnen eine Frage stellen?«
    »Du bekommst erst morgen wieder was zu essen.«
    »Deswegen bin ich nicht hier, Ma’am. Ich wollte Sie bitten, meiner Mutter eine leichtere Arbeit zu geben. Könnte ich nicht mit ihr tauschen? Sie kann viel besser nähen als ich und ich komme besser in der Waschküche zurecht.«
    Die Hausmutter blieb stehen und schien zu überlegen, doch schon nach wenigen Sekunden schüttelte sie energisch den Kopf. »Kommt nicht infrage. Ich kann nicht alle paar Stunden den Arbeitsplan ändern und das bisschen Waschen wird deine Mutter ja wohl noch schaffen. Oder was hat sie zu Hause auf eurer Farm getan? Hat sie da nie gewaschen? Erzähl mir jetzt nicht, dass ihr schon vor der Hungersnot in schmutzigen Lumpen herumgelaufen seid.«
    »Meine Mutter ist sehr anfällig.« Molly ließ nicht locker, auch auf die Gefahr hin, dass sie am nächsten Tag wieder nichts zu essen bekam. »Ich habe Angst, dass sie sich in der Waschküche erkälten könnte. Haben Sie ein Herz!«
    Die Hausmutter lächelte spöttisch. Es war offensichtlich, dass sie Molly nicht ausstehen konnte. »So, so ...
anfällig
ist sie.« Sie betonte das seltene Wort. »Wenn sie anfällig ist, hätte sie besser draußen bleiben sollen, denn anfällige Leute können wir hier gar nicht brauchen. Und jetzt setz dich wieder! Wenn du mich noch einmal störst, verbringst du die Nacht im Kerker. Verstanden?«
    »Ja, Ma’am. Natürlich, Ma’am.«
    Sie kehrte an ihren Platz zurück und lächelte ihrer Mutter aufmunternd zu. Mit einem flüchtigen Blick auf ihre Schwester setzte sie sich. »Ich wollte Mutter in die Nähstube holen«, flüsterte sie ihr zu. »Sie hat Nein gesagt.«
    »Das hätte ich dir gleich sagen können«, erwiderte Fanny.
    »Die frische Luft wird uns guttun«, sagte ihre Mutter, die vor lauter Erschöpfung nicht mitbekommen hatte, dass Molly zur Hausmutter gegangen war. »Eine halbe Stunde im Hof. Vielleicht sehen wir dort den Jungen wieder.«
    Mit dem Jungen meinte sie natürlich »Bryan«, aber auch die Höfe für Männer und Frauen waren durch eine hohe Ziegelsteinmauer getrennt und man konnte die Männer auf der anderen Seite weder sehen noch hören. Wie in einem Gefängnis, dachte Molly, als sie ins Freie trat, obwohl sie noch nie ein Gefängnis von innen gesehen hatte. Aber genauso stellte sie es sich vor.
    Der Tag war schöner, als sie gedacht hatte. Sogar die Sonne wagte sich gelegentlich zwischen den Wolken hervor und machte die beißende Kälte etwas erträglicher. Die Mauern hatten zumindest den Vorteil, dass sie den böigen Wind abhielten. Die Frauen durften ihre Decken mitnehmen, um der Kälte nicht schutzlos ausgeliefert zu sein, und boten einen bemitleidenswerten Anblick, wie Schiffbrüchige, die man aus dem Meer gerettet hatte.
    Während Fanny ihren Arm um die Mutter legte, um sie noch besser gegen die Kälte zu schützen, blieb Molly einige Schritte vor der hohen Mauer stehen und blickte sehnsuchtsvoll auf die braunen Ziegelsteine. Irgendwo dahinter stand Bryan, nur wenige Schritte von ihr entfernt und doch unerreichbar. Genauso gut hätte er in Dublin oder Cork sein können. Sie hätte am liebsten seinen Namen gerufen, wusste aber, dass er sie erstens nicht hören konnte und sie zweitens mit ziemlicher Sicherheit im Kerker landen würde. Die Hausmutter stand vor der Tür in einen warmen Mantel gehüllt und beobachtete sie.
    Eine junge Frau, ungefähr in ihrem Alter und von der Sorte, die sich als Magd verdingte oder in Tavernen arbeitete, blieb neben ihr stehen und blickte ebenfalls auf die Mauer. »Ist dein Alter auch auf der anderen Seite?« Sie sprach einen Dialekt, den Molly von einer Landstreicherin kannte, die ihre Mutter vor der Kartoffelfäule auf ihrem Acker erwischt hatte. Eine Frau aus Dublin, an die sie sich nur ungern erinnerte.

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