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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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»Wir können nur beten.«
    »Beten ist manchmal nicht genug«, sagte Fanny.
    »Weißt du vielleicht was Besseres?«

9
    Ein paar Stunden später, die meisten Frauen schliefen bereits, wurde Molly durch heftiges Schluchzen in ihrer unmittelbaren Nähe geweckt. Sie schreckte hoch und erkannte, dass es von der jungen Frau kam, die unbedingt zu ihrem Sohn wollte und am vergangenen Abend die Hausmutter angefleht hatte. Sie lag schräg gegenüber und wälzte sich unruhig auf ihrem Strohlager hin und her.
    Molly stand auf und schlich zu der Frau hinüber. Das fahle Licht des Mondes, das in einem breiten Streifen durch das Fenster fiel, ließ das Gesicht der schluchzenden Mutter noch blasser und leidvoller aussehen.
    Von einer anderen Bewohnerin hatte Molly erfahren, dass sie Bridget hieß und aus Westport kam. Ihr Sohn hieß Timmy und war gerade sieben geworden. »Bridget«, sagte sie leise, um die anderen nicht zu wecken. »Ich bin’s, Molly.«
    Bridget blickte sie aus verweinten Augen an. Mit dem Ärmel ihrer Uniform wischte sie sich über die laufende Nase. »Ich ... ich will zu ... zu meinem Sohn.« Sie schnappte nach Luft. »Er ... er ist doch ... doch viel zu klein, um ... um das alles zu kapieren. Er hat bestimmt Angst ...«
    Molly nahm einen Zipfel der Wolldecke und tupfte ihr den Schweiß und die Tränen vom Gesicht. »Timmy geht es gut ... ganz bestimmt. Die Kinder bekommen mehr zu essen als wir und schlafen in richtigen Betten. Das hat mir jemand beim Abendessen erzählt.« Sie ließ den Deckenzipfel los. »Mach dir keine Sorgen, Bridget. Wir sind hier nicht im Gefängnis. Die Leute meinen es gut mit uns, der Master, der Pfarrer, der Arzt und die Krankenschwester. Die Hausmutter führt sich doch nur so auf, weil ihr der Mann weggelaufen ist. Hat mir jemand erzählt. Sie ist wütend auf sich selbst, das ist alles.« Das war zwar gelogen, hörte sich aber gut an und würde sie etwas beruhigen.
    Tatsächlich zauberte die Antwort ein flüchtiges Lächeln auf Bridgets Gesicht. Sie wischte sich erneut mit dem Ärmel über die Augen und blickte Molly hoffnungsvoll an. »Meinst du wirklich, Timmy ... den Kindern geht es besser?«
    »Ganz bestimmt, Bridget. Er schläft jetzt sicher tief und fest.«
    »Er ist nicht traurig?«
    Molly strich ihr über die strähnigen Haare. »Bestimmt nicht, Bridget. Er weiß doch, dass ihr euch bald wiedersehen werdet. Spätestens im Frühjahr.«
    »Aber das ist noch so lange hin.«
    »Die Zeit vergeht schnell.« Noch eine Lüge. »Wie alt bist du?«
    »Zweiundzwanzig.«
    »Dann hast du früh geheiratet.«
    »Einen Mann, den ich gar nicht wollte.« Sie blickte eine Weile stumm zur Decke empor. Ihr leerer Blick verriet, dass sie mit ihren Gedanken in der Vergangenheit weilte. »Meine Eltern dachten, es wäre gut, ihn zu heiraten, weil er ein guter Farmer war und einen Krug mit gesparten Pennys im Küchenschrank stehen hatte. Von diesen Pennys hab ich nie etwas gesehen.«
    »Und wo ist er jetzt?«
    »William?« Sie kehrte in die Gegenwart zurück. »Er ist tot. Das Schwarze Fieber hat ihn dahingerafft ... ihn und meine anderen beiden Kinder.« Wieder schossen Tränen in ihre Augen und sie weinte hemmungslos, brauchte mehrere Minuten, um wieder einigermaßen zu sich zu kommen. »Ann und Judy ... sie waren erst zwei und drei Jahre alt. Warum lässt Gott so etwas zu, Molly?«
    Die Frage, die sich auch Molly immer wieder stellte. »Ich weiß es nicht, Bridget. Aber ich bin sicher, auch ihnen geht es gut dort oben im Himmel.«
    »Glaubst du?«
    »Ganz bestimmt, Bridget. Und jetzt schlaf ... es ist schon spät.«
    »Danke, dass du gekommen bist, Molly.«
    »Ich bin immer für dich da, Bridget.«
    Molly wartete, bis die junge Frau eingeschlafen war, und wollte gerade zu ihrem Lager zurückkehren, als die Tür aufging und die Hausmutter zur nächtlichen Kontrolle kam. Geduckt schlich Molly aus ihrem Blickfeld. Im Schatten huschte sie zu ihrem Strohlager und kroch rasch unter ihre Decke. Keinen Moment zu früh.
    Die Hausmutter war bereits auf dem Weg zu ihr und blickte misstrauisch auf sie herab. »Und ich dachte, ich hätte dich eben durch den Raum laufen sehen. Das nächste Mal erwische ich dich und dann wanderst du in den Kerker!«
    Molly war schlau genug, um die Augen geschlossen zu halten. Erleichtert vernahm sie, wie sich die Hausmutter wieder entfernte, vor einigen anderen Lagern stehen blieb und schließlich den Raum verließ. Die Tür fiel ins Schloss.
    »Das war knapp«, sagte Fanny

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