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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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sanfter, und jede ihrer Bewegungen und Gesten schien nur darauf ausgerichtet zu sein, ihn in ihren Bann zu ziehen. Als sie neben den Kutschbock trat und sich an der eisernen Lehne festhielt, erinnerte sie Molly an eine exotische Tänzerin, die sie vor der Kartoffelfäule auf dem Markt in Castlebar gesehen hatte. Die Frau war aus einem Land gekommen, an dessen Namen sie sich nicht erinnern konnte, und hatte jeden Mann mit ihren geschmeidigen Bewegungen und ihren feurigen Blicken verzaubert. »Sie werden doch drei arme, heimatlose Frauen nicht von ihrem Land vertreiben, Sir?«
    »Ich bin kein Sir. Ich bin William.« Seine Stimme klang jetzt deutlich sanfter, wenn auch ein wenig heiser und belegt, und der vorwurfsvolle Ausdruck war aus seinen Augen verschwunden. »Du kannst mich Bill nennen.«
    »Ich finde William schöner.« In ihren Augen spiegelte sich das Mondlicht, ein Effekt, den sie bewusst hervorrief, indem sie ihren Kopf neigte und das Licht über ihre Wangen fließen ließ. »William ... so heißen nur Könige.«
    »Und du? Wer bist du?«, fragte William.
    »Ich bin Fanny«, antwortete sie lächelnd, »und das sind meine Mutter, sie heißt Rose, und meine Schwester Molly. Wohnst du allein auf der Farm?«
    »Ich wohne überhaupt nicht mehr auf der Farm.« Der Farmer blickte sich ärgerlich zu dem Haus und der Scheune um. »Ich mache mich rechtzeitig aus dem Staub, bevor der Mittelsmann kommt und das Haus niederbrennen lässt. So kann ich wenigstens den Wagen, das Pferd und ein paar Vorräte retten.«
    Fanny hatte die beiden Säcke, die Kiste und den Stapel Wolldecken auf der Ladefläche längst gesehen. »Du bist ein kluger Mann, Bill. Wir hatten leider weniger Glück. Wir konnten gerade mal unser Essgeschirr und eine Decke retten, bevor unsere Farm in Flammen aufging. Gott verdamme die Engländer! Man sollte sie alle aufknüpfen, diese Dreckskerle!«
    Ihre Mutter wollte etwas sagen, Fanny wahrscheinlich daran erinnern, welcher Sprache sich eine anständige Frau bedienen sollte, aber Molly hielt sie rasch zurück. »Lass sie, Mutter!«, flüsterte sie. »Das gehört alles zu ihrem Plan. Wenn sie damit Erfolg hat, brauchen wir keine Not mehr zu leiden.«
    »Da hast du recht«, sagte William. »Aufknüpfen sollte man sie!«
    Fanny schob sich noch näher an den Farmer heran und legte ihm scheinbar beiläufig eine Hand auf den Arm. Zufrieden registrierte sie, wie er unter ihrem verführerischen Blick nervös wurde. »Ich wette, du willst nach Dublin.«
    »Woher weißt du das?«
    »Alle Iren, die den Winter überstanden haben, wollen nach Dublin. Nach Dublin oder Cork. Von dort fahren sie nach Liverpool und dann mit einem der großen Segelschiffe nach Amerika. Willst du auch nach Amerika, Bill?«
    »Keine Ahnung. Darüber hab ich noch nicht nachgedacht.«
    Sie legte auch ihre zweite Hand auf seinen Arm. »Wie wär’s, wenn wir zusammen nach Dublin fahren? Ich hab eine Menge über Amerika gehört und könnte dir unterwegs davon erzählen. Ich könnte bei dir auf dem Kutschbock mitfahren und meine Mutter und meine Schwester auf der Ladefläche.«
    »Ich weiß nicht ... so viele Vorräte hab ich nicht.«
    »Wir brauchen nicht viel, Bill.« Sie verstärkte ihr Lächeln. »Wir könnten für dich kochen und dir ein wenig die Zeit vertreiben. Allein würdest du nur trübsinnig auf deinem Kutschbock sitzen. Schlafen können wir auf dem Wagen.«
    »Und du setzt dich zu mir?«
    »Ehrensache, William.«
    William war ihrem Charme längst erlegen und brauchte nicht lange nachzudenken. »Also meinetwegen. Klettert auf den Wagen. Lange kann ich hier nicht rumstehen, sonst kommt mir der Mittelsmann doch noch auf die Schliche und ich bin nicht nur die Farm, sondern auch den Wagen und den Gaul los, dann stehen wir alle dumm da.« Er half Fanny auf den Kutschbock und zog sie dicht zu sich heran. »Wo bleibt ihr denn?«, rief er den anderen zu.
    Molly löschte das Feuer und raffte die Wolldecken zusammen. Mit einer Hand stützte sie ihre Mutter, die widerwillig die Böschung hinaufstieg und ihrer Tochter auf dem Kutschbock einen warnenden Blick zuwarf, aber auch die Vorteile des kleinen Flirts erkannte, dem sie die bequemere Reise auf dem Wagen zu verdanken hatte. Auf der Ladefläche machten es sich Molly und ihre Mutter auf den Decken bequem. »Hüüah!«, trieb William die Pferde an.
    Den Farmer hatte der Himmel geschickt, das erkannte Molly schon nach wenigen Meilen. Mit dem Wagen kamen sie wesentlich schneller voran, sie brauchten

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