Am Ufer der Traeume
lassen.«
Obwohl Fanny wissen musste, dass William bestimmt nicht wegen der Kräuter mit ihr zum Fluss gehen wollte, willigte sie ein. Sie lächelte sogar, wie Molly mit einem verstohlenen Blick erkannte, und hängte sich bei ihm ein. Molly war froh, dass ihre Mutter bereits eingeschlafen war und nicht sehen konnte, wie Fanny und der Farmer in der Dunkelheit verschwanden.
Molly blieb eine Weile still liegen. Sie tut bestimmt nichts Unüberlegtes, redete sie sich ein, sie weiß doch, dass sie sich mit einer unbedachten Handlung selbst ins Unglück stürzen würde. Molly wagte gar nicht daran zu denken, was passieren würde, wenn Fanny ein Kind bekam. Wie sollte sie es allein großziehen? Kein Mann, der bei Verstand war, heiratete eine ledige Mutter. Im Arbeitshaus waren einige dieser unglücklichen Frauen gewesen, die meisten blutjung und nicht in der Lage, sich jemals selbst zu ernähren. Sie würden ihr ganzes Leben hinter den hohen Mauern verbringen müssen.
Die Angst, ihre Schwester könnte zu weit gehen, trieb Molly vom Wagen. Sie huschte geduckt zum Flussufer, überquerte eine Wiese mit den ersten Schlüsselblumen und Veilchen des Jahres und lief hinter den Büschen entlang, die das Ufer von den grasbewachsenen Hügeln trennten. Schon nach wenigen Schritten sah sie Fanny und den Farmer im Schatten einer weit ausladenden Buche stehen. Sie schlich näher und verharrte in der Dunkelheit.
»Du bist hübsch«, sagte William. Der warme Abendwind trieb seine Worte zu Molly herüber. »Bei dir könnte ich es länger aushalten, weißt du das?«
»Und ob ich das weiß«, erwiderte sie kichernd.
»Jetzt sind wir zum ersten Mal allein.«
»Und?«, forderte sie ihn heraus.
Sie wehrte sich nicht, als er seine Arme um ihre Hüften legte und sie langsam zu sich heranzog. Molly wurde beinahe übel, als sie mit ansehen musste, wie er sie auf den Mund küsste und gar nicht mehr von ihr lassen wollte.
»Hey!« Fanny riss sich lachend von ihm los. »Nicht so stürmisch!«
»Ich will mit dir zusammen sein«, sagte er heiser.
»Ich weiß, William ... das weiß ich doch. Glaub mir, auch ich sehne mich nach dir, aber wir dürfen nichts überstürzen.« Sie griff sich leise kichernd an den Mund. »Nicht hier am Fluss! Nicht hier, William! Meine Mutter hat einen leichten Schlaf und würde Zeter und Mordio schreien, wenn sie uns erwischt. Wenn wir zusammen sind, möchte ich es romantisch haben. Nur wir zwei, William ...«
Er küsste sie wieder, diesmal härter und entschlossener, und wieder löste sie sich lachend von ihm. »Lass das, William! Ich bekomme ja keine Luft mehr.«
Sie erkannte seine Enttäuschung und wusste auch in dieser verzwickten Situation, was sie tun musste. »Zuckerbrot und Peitsche« nannte sie ihr Verhalten, wie sie Molly später einmal gestand. Zeig dem zudringlichen Burschen deutlich die Grenzen auf, stoße ihn aber nicht vollkommen vor den Kopf. Diese Regel befolgte sie, indem sie ihn erneut auf den Mund küsste, diesmal zärtlicher und scheinbar mit viel Gefühl, und ihm in die rechte Wange kniff.
»Aber bald«, drängte William.
»Bald«, versprach sie ihm.
»Du wirst es nicht bereuen.« Er ließ sie widerwillig los. »Ich hab meine Ersparnisse dabei, ich hab vor der Kartoffelfäule einiges auf die Seite legen können. Von dem Geld kannst du was haben. Ich lasse mich nicht lumpen.«
»Aus Geld mache ich mir nichts, William. Komm, wir gehen zurück.«
Molly hatte genug gesehen und beeilte sich, wieder zum Wagen zu kommen. Sie kletterte auf die Ladefläche und hatte sich gerade hingelegt und die Augen geschlossen, als Fanny und der Farmer vom Fluss zurückkehrten.
»Sei vorsichtig, Fanny!«, flüsterte sie, bevor sie einschlief.
15
Am Morgen des nächsten Tages verschlechterte sich das Wetter. Dunkle Wolken zogen am Horizont auf und der böig auffrischende Wind trieb ihnen kühlen Regen ins Gesicht. In der Ferne erklang Donner. Die Wolldecken, die sie bis über den Kopf gezogen hatten, hielten den Regen nur für kurze Zeit ab, hatten sich schon bald mit Wasser vollgesogen und klebten an ihren ebenfalls nassen Kleidern. Die Nässe drang bis auf ihre nackte Haut.
Sie befanden sich auf offenem Land und waren dem Regen schutzlos ausgeliefert. Der nächste Wald lag weit von der Straße entfernt und das nächste Dorf war nur als dunkler Schatten in dem regnerischen Dunst zu erkennen. Der Boden, der an zahlreichen Stellen schon aufgetaut war, verwandelte sich in eine Schlammwüste, die es dem
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