Am Ufer der Traeume
Ackergaul schwer machte, den Wagen zu ziehen und voranzukommen. William trieb ihn mit derben Flüchen an. Unter den Hufen des Pferdes und den Rädern des Wagens spritzte Dreck empor.
Molly hatte einen Arm um ihre Mutter gelegt und drückte sie fest an sich. Trotz der warmen Mahlzeit vom vergangenen Abend und des heißen Tees, den sie an diesem Morgen regelrecht genossen hatten, war Rose Campbell noch nicht bei Kräften. Sie zitterte stark und drängte sich eng an ihre Tochter, hatte die meiste Zeit die Augen geschlossen und war froh, dass die Decke, die über ihr Gesicht hing, auch ihre Tränen verbarg. Nur ihr Husten war etwas besser geworden. Molly stellte erleichtert fest, dass sie kein Fieber hatte, und dankte dem Herrgott, dass ihr die Erschöpfung verbot, den Kopf zu drehen und zu bemerken, wie William einen Arm um Fanny legte und ihr etwas ins Ohr flüsterte, dass sie zu einem bemühten Kichern veranlasste.
Schon am Nachmittag kehrte die Sonne zurück, doch sie hatten während des Regens so viel Zeit verloren, dass sie noch einmal im Freien übernachten mussten, diesmal unter einer Gruppe von Bäumen, die am Ufer eines schmalen Baches wuchsen und ihnen genügend Schutz bieten würden, falls das Unwetter zurückkehrte. In der Ferne waren bereits die Häuser von Dublin im abendlichen Dunst zu sehen. Aus einigen Schornsteinen, die wie Masten aus dem grauen Häusermeer ragten, stieg Rauch zum Himmel empor.
Sie fanden einigermaßen trockenes Holz und entzündeten ein Feuer, blieben dicht bei den Flammen, bis ihre Kleider trocken waren. Die Wolldecken hängten sie über einige Äste in unmittelbarer Nähe. Molly erhitzte Wasser aus dem Bach, gab reichlich Hühnerfett, einige Kräuter und etwas Speck dazu und kochte Tee in einer Kanne. Über das Feuer hinweg betrachtete sie den Farmer, der seine Augen nicht von Fanny lassen konnte und sich ähnlich wie der Master im Arbeitshaus alle paar Minuten lüstern über die Lippen leckte.
Nach dem Essen fühlten sich alle besser, selbst Rose Campbell konnte wieder lächeln, und zum ersten Mal, seitdem sie den Farmer getroffen hatten, kam eine längere Unterhaltung in Gang. William berichtete vom tragischen Tod seiner Frau und seiner drei Kinder, die nach der ersten Kartoffelfäule am Schwarzen Fieber erkrankt und schon wenige Tage darauf gestorben waren, betonte aber, dass er ein Mensch sei, der in die Zukunft blickte und sich nach einer neuen Ehefrau und weiteren Kindern sehnte, wenn es sein musste, auch drüben in Amerika. Er sah Fanny an, ein Blickkontakt, der Rose Campbell nicht verborgen blieb und ihr ein missbilligendes Stirnrunzeln entlockte. Nur weil sie wusste, dass William ihnen das Leben gerettet hatte, sagte sie nichts.
Nachdem Molly und ihre Mutter die Töpfe, Essnäpfe und Löffel gesäubert und verstaut hatten, kletterten sie auf den Wagen, und obwohl Rose Campbell ahnte, dass sich der Farmer bei Fanny nicht mit einigen lustvollen Blicken begnügen würde, schlief sie rasch ein. Nach der qualvollen Fahrt durch das Unwetter fühlte sie sich müde und ausgelaugt, ein Gefühl, das auch die gehaltvolle Suppe nicht vertrieben hatte.
Dass Molly wach blieb und diesmal auch nicht die Augen schloss, störte William nicht. Er warf ihr sogar einen schelmischen Blick zu, als er Fanny bat, mit ihm spazieren zu gehen. Auch Fanny blickte in ihre Richtung, gab ihr mit einem kaum merklichen Kopfnicken zu verstehen, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauche. Mollys warnender Blick drückte etwas anderes aus, bedeutete etwa: Pass auf dich auf, Fanny! Stürz dich nicht ins Unglück!
Diesmal verzichtete Molly darauf, ihrer Schwester heimlich zu folgen. Es hätte nur Ärger gegeben. Entweder hätte sie dabei zusehen müssen, wie Fanny und der Farmer etwas Verbotenes taten, oder sie wäre eingeschritten, und es hätte einen riesigen Streit gegeben, der vor allem ihrer Mutter zu Herzen gegangen wäre, sie vielleicht sogar ernsthaft gefährdet hätte. Es war besser, den Dingen ihren Lauf zu lassen und darauf zu hoffen, dass ihre gewiefte Schwester es auch diesmal schaffte, mit einem blauen Auge davonzukommen. Sie hatte ein Gespür dafür, wie weit sie bei den Männern gehen konnte.
Was in dieser Nacht wirklich zwischen den beiden geschah, würde Molly nie erfahren. Weder William noch Fanny erzählten ihr die Wahrheit, doch die zufriedene Miene des Farmers deutete an, dass es mehr als ein liebevolles Lächeln und ein flüchtiger Kuss gewesen war. Fanny gab sich fröhlich und
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