Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
Vom Netzwerk:
sich nicht mehr um Vorräte zu kümmern und ihre Mutter konnte sich ausruhen, auch wenn die Räder über zahlreiche Steine und durch Schlaglöcher holperten. Anderen Reisenden, die selbst im Dunkeln versuchten, zu ihnen auf den kleinen Wagen zu klettern, bedeutete William, dass er nur bis zur nächsten Farm fahren würde. Eine Notlüge, die einigen Ärger verhinderte, bei Molly aber auch ein schlechtes Gewissen hervorrief, weil sie am liebsten jeder Familie geholfen hätte. Ein unmögliches Unterfangen, wie sie zu ihrem großen Bedauern feststellen musste, denn auf der Wagenstraße waren so viele Menschen unterwegs, dass die Ladefläche des Wagens kaum für alle Hilfebedürftigen ausgereicht hätte. Sie war gerade mal für drei Personen groß genug.
    Molly saß mit dem Rücken zu Fanny und dem Farmer dicht neben ihrer Mutter und lehnte den Kopf an die zusammengerollte Decke, die sie sich hinter den Rücken gestopft hatte. Sie hörte ihre Schwester reden und leise kichern und konnte sich gut vorstellen, wie sie William mit ihren strahlenden Augen und ihrer sanften Stimme verzauberte, ihn so gut in den Griff bekam, dass er ihr keinen Wunsch mehr abschlagen konnte. Ähnlich hatte sie es wohl auch mit dem Master gemacht. Sie verfügte über magische Kräfte, wäre vor einigen Hundert Jahren sicher als Hexe verbrannt worden und musste sich nur vorsehen, dass der Preis, den William verlangte, nicht zu hoch wurde. Mit einem freundlichen Lächeln würde er sich bestimmt nicht zufriedengeben.
    Der Gedanke, sich einem Mann hinzugeben, für den man nichts empfand, war Molly unerträglich. Sie würde sich für Bryan aufheben, auch wenn es noch einige Zeit dauern würde, bis sie ihn wiedersah. Denn sie würde ihn wiedersehen, davon war sie inzwischen fest überzeugt. Bryan war ein aufrichtiger Mann, keiner dieser Blender, der einer Frau das Blaue vom Himmel versprach, nur um sie unter seine Decken zu bekommen. Während der Nächte, die sie dicht nebeneinander unter freiem Himmel verbracht hatten, war er ihr kein einziges Mal zu nahe getreten. Er würde auf sie warten, wenn nicht hier, dann in Dublin, und wenn nicht dort, dann in Liverpool oder in New York.
    Molly betrachtete ihre schlafende Mutter. Sie sah der starken und entschlossenen Frau, die sie vor der Kartoffelfäule gewesen war, kaum noch ähnlich und war wohl nur noch am Leben, weil sie ihre Töchter in ein neues Leben begleiten wollte. Mit ihren etwas über vierzig Jahren sah sie schlechter aus als eine frühere Nachbarin, die mit knapp sechzig Jahren und einem Gesicht voller Sorgenfalten gestorben war. In allen Gebeten, die sie mehrmals täglich in Gedanken sprach, bat sie den Herrgott, ihre Mutter schnell gesunden zu lassen und ihr die Kraft zu verleihen, die sie für die lange Schiffsreise brauchte.
    In Athlone, auf halbem Weg nach Dublin, übernachteten sie am Ufer des River Shannon in Sichtweite des Arbeitshauses, das am östlichen Stadtrand in den nächtlichen Himmel ragte. Beim Anblick der dunklen Mauern überfiel Molly unwillkürlich ein Schauer und ihre Mutter weinte sogar leise, bevor sie sich in ihre Decken rollte und einschlief. Das Feuer, das sie neben dem Wagen entzündet hatten, verbreitete angenehme Wärme. Die Nacht war klar und der Mond und die Sterne leuchteten silbrig hell am weiten Himmel.
    Molly lehnte auf der Ladefläche und döste erschöpft vor sich hin. Sie hatte etwas Brot und Speck gegessen und fühlte sich so satt wie schon lange nicht mehr, obwohl die Portionen etwas klein gewesen waren. Auch die Vorräte des Farmers reichten nicht ewig. Die Befürchtung, der Mittelsmann des Landes, auf dem William gelebt hatte, könnte sie verfolgen und ihnen das Fuhrwerk und die Vorräte abnehmen, erwies sich jedoch als unnötig. Der hatte wohl Wichtigeres zu tun und auch keine Lust, an den vielen Kranken und Toten auf der Hauptstraße vorbeizureiten. Er zog es vor, in seinem Haus in Castlebar zu bleiben und sich von den Engländern mit frischem Fleisch und anderen Lebensmitteln beliefern zu lassen. Von ihm drohte keine Gefahr.
    Das Schaukeln des Wagens störte Molly in ihren Gedanken. Sie öffnete die Augen und sah den Farmer vom Kutschbock springen und Fanny herunterhelfen. »Lass uns am Fluss entlanggehen«, sagte er, »da sind wir allein.«
    »Meinst du wirklich?«, machte Fanny den schüchternen Versuch, das Unvermeidliche hinauszuschieben. »Hier haben wir es doch auch gemütlich.«
    »Am Flussufer wachsen seltene Kräuter, hab ich mir sagen

Weitere Kostenlose Bücher