Am Ufer der Traeume
gebrauchen. Ich bin sicher, er streckt Ihnen das Geld für die Passage vor. Sie können den Betrag dann in bequemen Raten von ihrem Lohn bezahlen. Er bietet Ihnen bestimmt einen guten Lohn. Ist das ein Angebot?«
»Von solchen Verträgen haben wir schon gehört«, erwiderte Molly ärgerlich. »Sie verdienen doch sicher auch daran, wenn Sie Ihrem Freund neue Mitarbeiterinnen besorgen. Wie lange dauert es denn, bis wir die Tickets abgearbeitet haben? Zwei Jahre? Drei Jahre? Bis in alle Ewigkeit? Und wie viel verdienen Sie daran, Mister Walker? Nein, darauf lassen wir uns nicht ein.«
»Wie Sie wollen, meine Damen. Aber so ein Angebot bekommen Sie nicht wieder. Und ohne Ticket können Sie in Liverpool nicht bleiben. Die Polizei ist seit einiger Zeit angehalten, alle Iren ohne Ticket oder Geld nach Dublin zurückzuschicken. Es wäre also besser, sich mein Angebot noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Oder wollen Sie nach Irland zurück? Ich weiß, es gibt viele Betrüger in meiner Branche, aber ich gehöre sicher nicht dazu.«
»Das mag schon sein, Mister Walker. Aber was ist, wenn wir gar nicht in New York bleiben und in eine andere Stadt weiterziehen wollen? Oder uns die Arbeit in seiner Fabrik nicht gefällt? Oder wir keine Wohnung finden?«
»Oder Ihr Freund versucht, uns auszubeuten?«, ergänzte Molly.
»Überlegen sie es sich, meine Damen.«
»Das werden wir, Mister Walker. Vielen Dank für Ihre Zeit.«
Sie verließen das Haus und blieben stehen. So hatten sie sich die Ankunft in Liverpool nicht vorgestellt. Anstatt in wenigen Tagen an Bord eines Schiffes zu gehen und nach Amerika zu fahren, saßen sie fest. Sie waren kaum besser dran als in Irland und entsprechend gedrückt war ihre Stimmung.
Ihr Blick wanderte zu den Landungsstegen, wo das Schiff, das neben ihrem Schoner gelegen hatte, gerade ablegte. Die Passagiere lehnten mit hoffnungsvollen Mienen an der Reling und blickten erleichtert, aber auch ein wenig nervös zum Hafen zurück. Zahlreiche Schaulustige winkten ihnen zum Abschied zu. Einige von ihnen hielten weiße Taschentücher in den Händen.
»Ich wollte, wir wären schon an Bord«, sagte Rose Campbell. »Ich bezweifele langsam, dass wir jemals nach Amerika kommen. Ihr habt es gehört. Wir können hier auch nicht arbeiten. Die Polizei würde uns sofort nach Hause schicken, wenn sie herausbekommt, dass wir uns das Geld für die Tickets erst zusammensparen müssen. Wir wissen ja nicht mal, wo wir schlafen sollen.«
Molly blickte dem Schiff nach, das langsam in Richtung Meer segelte. »Bryan hätte sicher einen Plan. Er weiß immer eine Lösung. Warum warten wir nicht auf ihn? Er kommt bestimmt. Er würde mich nie im Stich lassen.«
»Bryan ...«, wiederholte Fanny und verdrehte heimlich die Augen.
Aus dem Haus eines anderen Agenten trat ein Mann, seiner abgetragenen Kleidung nach ebenfalls ein Ire, und blieb seufzend vor ihnen stehen. »Hat man Ihnen auch kein Ticket verkauft? Ich versuche schon seit einer Woche, die Passagen für meine Familie zu bekommen, und habe bestimmt schon zwanzig Agenten abgeklappert, aber ein anständiges Angebot war bisher nie dabei. Entweder verlangen sie einen Wucherpreis oder sie verweisen mich an einen Geschäftsmann, der eine Firma in New York besitzt und uns für die Tickets bis in alle Ewigkeit arbeiten lassen will. Gibt es denn keine ehrlichen Menschen in diesem Land?« Er lüftete seinen Hut. »Entschuldigen Sie, ich habe mich gar nicht vorgestellt. John O’Hara aus Ballinrobe. Die Engländer haben uns von unserer Farm vertrieben. Wohnen Sie auch im Irenviertel?«
»Im Irenviertel?«, fragte Rose Campbell verwundert.
»Das Viertel zwischen Scotland und Vauxhall Street«, erklärte O’Hara. »Ziemlich düstere Gegend mit alten und eingestürzten Häusern. Da haben sich die meisten Iren verkrochen. Sie verstecken sich vor der Polizei. Die Regierung hat entschieden, alle Iren, die kein Geld für die Überfahrt haben, nach Hause zu schicken. Wenn ich nicht bald einen preiswerten Kredit bekomme, erwischt es uns wohl auch. Wir können uns nicht ewig in einem Keller verkriechen. Uns gehen langsam die Vorräte zur Neige und sauberes Wasser gibt es auch nicht. Das Schwarze Fieber geht in den Häusern um.«
»Wir gehen nicht nach Irland zurück«, sagte Molly entschlossen.
»Niemals«, stimmte ihr Fanny zu.
Sie folgten dem Iren in die Vauxhall Street und erschraken über die schäbigen, zum Teil eingefallenen Häuser und den vielen Abfall, der vom Wind
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