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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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kontrollierenden Schaffner ihr Ticket, erklärte ihm bereitwillig, dass ihr Verlobter in den nächsten Tagen nachkäme, und versank in einem Tagtraum, über ihre gemeinsame Zukunft mit Bryan. Sie sah das weite Land, von dem er ihr erzählt hatte, genoss den warmen Wind, der das saftige Gras in sanfte Wellen verwandelte, und hörte Bryan rufen: »Warte auf mich, Little Red! Und quatsch mir bloß keine anderen Männer an, hörst du?«

24
    Im Vergleich zu der Zugfahrt war die Schiffsreise über den Ohio River ein reines Vergnügen. Anstatt auf einer harten Holzbank in einem schaukelnden Eisenbahnwaggon zu sitzen, lehnte sie an der Reling auf dem überdachten Promenadendeck eines luxuriösen Raddampfers und ließ sich den frischen Wind um die Nase wehen. Über ihrer weißen Bluse und dem dunklen Rock, den sie von Fanny bekommen hatte, trug sie ein dunkelgrünes Cape und eine Sonnenhaube. Beides hatte sie mit dem Geld, das sie von Bryan erhalten hatte, in einem kleinen Kaufhaus in Pittsburgh erstanden. Auch äußerlich erinnerte jetzt kaum noch etwas an die schlecht bezahlte Näherin aus New York.
    Voller Zuversicht blickte sie flussabwärts, dem noch unbekannten Ziel im Westen entgegen. Noch trennten sie über tausend Meilen von dem freien Land, nach dem sie sich so sehnte, eine schier unglaubliche Entfernung, wenn man sie mit den Strecken verglich, die sie in Irland zurückgelegt hatte. Fast genauso weit war es nach New York, der Stadt, an die sie schon jetzt keinen Gedanken mehr verschwendet hätte, wäre da nicht Bryan gewesen, ohne den sie sich ihre Zukunft nicht mehr vorstellen konnte. Hielt er sich noch immer in der Stadt versteckt? Hatte er New York bereits verlassen und saß schon im Zug nach Westen? Oder hatte ihn die Polizei erwischt? Der Gedanke, dass man ihn einsperren und sie ihn überhaupt nicht mehr oder bestenfalls in einigen Jahren wiedersehen würde, lag schwer auf ihrer Seele und trübte ihren Blick auf den breiten Fluss und die leuchtend grünen Wiesen an seinen Ufern.
    »Ein schönes Land, nicht wahr?«, störte sie eine männliche Stimme in ihren Gedanken. »Sobald ich die Stadt hinter mir gelassen habe, fühle ich mich jedes Mal freier und ungebundener. Ich wollte, ich könnte immer hier leben.«
    Molly wandte den Kopf und sah sich einem vornehm gekleideten Mann gegenüber, mehr als doppelt so alt wie sie und von der Sorte, die sich etwas auf ihr gutes Aussehen und ihre gepflegte Kleidung einbildete. Sein dunkler Gehrock und sein Zylinder hätten auch zu einem englischen Grundbesitzer oder Mittelsmann gepasst, auch der elegante Spazierstock mit dem silbernen Knauf hätte einem Adeligen gut gestanden, doch sein Dialekt klang eher amerikanisch und in seinen Augen war nichts von der Unnachgiebigkeit und Härte zu sehen, die den meisten Engländern zu eigen war. Er schien auch keine Hintergedanken bei ihrem Anblick zu haben, ließ seinen Blick nicht an ihrem Körper hinabgleiten wie so viele andere Männer, die an ihr vorbeigingen, und leckte sich auch nicht verstohlen über die Lippen wie der Master des Arbeitshauses, der beim Anblick von Fanny kein Hehl aus seiner Gier gemacht hatte.
    Sein Lächeln wirkte aufrichtig. »Verstehen Sie mich nicht falsch, Miss. Es lag mir fern, Sie mit meiner Bemerkung zu belästigen. Ich wollte Sie nur ein wenig aufmuntern. Sie sehen ... verzeihen Sie meine Offenheit ... etwas traurig aus.« Er deutete eine Verbeugung an und stellte sich vor. »Luther Bradford.«
    »Molly Campbell.« Sie erwiderte das Lächeln des Mannes, spürte keine Hintergedanken bei ihm und fühlte sich sogar bemüßigt, ihm ihre gedrückte Stimmung zu erklären. »Ich musste leider ohne meinen ...«, sie überlegte einen Moment, »... meinen Verlobten aus New York abreisen. Er wurde aufgehalten und kommt erst in ein paar Tagen nach. Dringende Geschäfte, wissen Sie?«
    Er winkte lächelnd ab. »Oh, das kenne ich. So geht es mir auch immer. Kaum habe ich mir eine Fahrkarte gekauft, überrascht mich mein Sekretär mit einem Termin. Darf ich fragen, in welcher Branche Ihr Verlobter tätig ist?«
    »Er unterstützt seine irischen Landsleute im Kampf gegen rücksichtslose Geschäftemacher und Ausbeuter ...« Sie zögerte ein wenig, befürchtete schon, etwas zu weit gegangen zu sein. Es war immerhin möglich, dass auch Luther Bradford einer dieser rücksichtslosen Fabrikbesitzer war. Doch der Gedanke an die letzten Jahre in New York ließ sie jede Zurückhaltung vergessen. »Ich habe selbst in einer

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