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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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Ufer von Bord ging, hatte sie sich schon etwas beruhigt. Nein, sagte sie sich, ihr Bryan würde bestimmt nicht auf einen Polizisten schießen. Zu kleinen Gaunereien war er fähig, die gehörten bei ihm irgendwie dazu, aber niemals würde er auf einen Menschen schießen, es sei denn, in Notwehr. Schon ihretwegen wäre er ein solches Risiko niemals eingegangen.
    Sie ging zum nahen Bahnhof und betrat den Bahnsteig. Der Zug war bereits zur Abfahrt bereit. Die Lokomotive schnaufte und zischte und der Schaffner hatte damit begonnen, die Türen der Waggons zu schließen. »Alles einsteigen, bitte!«, rief er. »Der Zug nach Philadelphia fährt in Kürze ab!« Molly bedankte sich artig, als er ihren Koffer in eines der Abteile trug und ihr einen Platz zuwies. Sie war noch nie mit einem Zug gefahren und setzte sich zögernd auf die harte Holzbank, fuhr erschrocken zusammen, als die Lokomotive zu schnaufen begann und ein heftiger Ruck durch die Wagen ging.
    Nur ganz allmählich gewöhnte sie sich an die schwarzen Rauchschwaden vor den Fenstern und das rhythmische Rattern der Räder. Von der Landschaft sah sie nicht viel. Die Wagen rollten schneller über die Gleise als die Kutschen über die breite Fifth Avenue, und die Häuser der Städte und Dörfer, an denen sie vorbeifuhren, waren nur schemenhaft zu erkennen. Zwischen den Rauchfetzen, die an den Fenstern vorbeiflogen, war flaches Farmland zu sehen, die Erde nicht so dunkel und fruchtbar wie vor der Kartoffelfäule in Irland. In manchen Ortschaften verliefen die Schienen über die Hauptstraße, und der Zug wurde so langsam, dass ihn Kutschen und Reiter überholten. Obwohl die Bewohner sich inzwischen an die Eisenbahn gewöhnt haben mussten, schienen sie noch immer fasziniert von ihr zu sein, blieben neugierig stehen und winkten den Passagieren zu. Ein Pferd scheute wiehernd und warf seinen Reiter ab, wie überall rannten Kinder und Hunde neben dem Zug her.
    Außer Molly saßen nur noch zwei ältere Ehepaare in ihrem Abteil, beide sehr gut angezogen und anscheinend aus besseren Kreisen. Die Frauen warfen ihr abschätzende Blicke zu und wunderten sich wahrscheinlich, warum sie allein reiste. Eigentlich gehörte es sich nicht für eine Frau, ohne Begleitung unterwegs zu sein. Molly kümmerte das wenig, sie war ganz andere Anfeindungen gewöhnt. Hellhörig wurde sie nur, als eines der Paare auf einen Überfall in New York zu sprechen kam. »Hast du schon gehört?«, sagte der Mann zu seiner Frau. »In New York ist ein Polizist angeschossen worden, von einer dieser Jugendbanden.« Und seine Frau antwortete: »Unsere Nachbarin wusste es auch schon. Ein Skandal, nicht wahr? Angeblich haben die Jugendlichen den Besitzer einiger Nähstuben überfallen, einen gewissen Mister Silverstein. Zufällig war ein Polizist in der Nähe, und es kam zu einer Schießerei. Ich hoffe, sie erwischen den Schützen.« Der Mann erwiderte: »Man sollte ihn aufhängen! Wenn das so weitergeht, müssen wir das Militär um Hilfe bitten.«
    Molly wäre am liebsten aufgesprungen und hätte den beiden gesagt, dass Mister Silverstein ein viel größerer Verbrecher war und dass der junge Mann, den alle verdächtigten, bestimmt nicht auf ihn geschossen hatte, aber sie hielt sich natürlich zurück und blickte scheinbar unbeteiligt zum Fenster hinaus.
    In Philadelphia wartete Molly vergeblich auf den Zug nach Pittsburgh. Die Lokomotive, so erfuhr sie später, war defekt und musste auf offener Strecke repariert werden. Erst am frühen Abend traf der Zug mit den erschöpften und teilweise wütenden Passagieren ein. Da man die Lokomotive nur notdürftig repariert hatte, sie zu einer gründlichen Überprüfung in die Werkstatt bringen musste und keine Ersatzlok verfügbar war, bat man die Passagiere, in einem nahen Hotel zu übernachten. Die Kosten übernahm die Eisenbahn. Molly träumte von Bryan, sah ihn mit einer Pistole durch eine dunkle Gasse rennen und getroffen zu Boden sinken, schreckte aus dem Albtraum und blickte sich verwirrt in dem Zimmer um. Sie war so mitgenommen, dass sie kein Auge mehr zubekam und den Rest der Nacht in einer alten
New York Times
blätterte, die der Hoteldiener auf die Anrichte gelegt hatte.
    Am nächsten Morgen stand der Zug bereit. Molly fand einen Fensterplatz und machte es sich gemütlich, lehnte den Kopf zurück und ließ die Landschaft an sich vorüberziehen. Das Schaukeln der Waggons und das rhythmische Rattern der Räder machten ihr schon lange nichts mehr aus. Sie zeigte dem

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