Am Ufer der Traeume
Nähstube gearbeitet und weiß, wie skrupellos vor allem die irischen Frauen und Mädchen in den Fabriken ausgebeutet werden.«
Das Lächeln des Mannes verflüchtigte sich. »Sie haben recht, Molly. Ich darf doch Molly sagen? Ich bin selbst Unternehmer und habe schnell gelernt, dass man es nur zu etwas bringt, wenn man seine Angestellten gut behandelt.« Das Lächeln kehrte zurück. »Wenn ich jemanden übers Ohr haue, dann meine Kunden. Aber glauben Sie mir, die legen mich auch jedes Mal rein.«
»Sie kommen auch aus New York?«
»St. Louis«, verbesserte er sie, »aber ich arbeite mit einigen Firmen an der Ostküste zusammen. Import, Export. Seit dem Krieg gegen die Mexikaner und dem Anschluss von New Mexico an unsere Territorialgebiete besteht ein großer Bedarf an Waren, vor allem in Santa Fe. Dort sind die Mexikaner noch immer in der Mehrheit, obwohl das Land inzwischen uns gehört, und niemand hat etwas gegen die reichen Hidalgos und Hacienderos, die sich dort niedergelassen haben. Sie zahlen mit Gold und Silber und hochwertiger Wolle, die ich in Chicago und New York zu Höchstpreisen verkaufen kann.« Er lächelte zufrieden. »Aber ich will Sie nicht mit Erzählungen über meine Geschäfte langweilen. Darf ich fragen, wo Sie Ihren Verlobten treffen wollen?«
»In Santa Fe.« Sie sah keinen Grund, ihm diese Tatsache zu verschweigen. »Mein Ticket gilt bis St. Louis, dort soll es Möglichkeiten geben, mit einer Postkutsche oder einem Wagenzug nach Santa Fe zu kommen. Ehrlich gesagt, habe ich noch keinen Plan. Ich werde mich in St. Louis darum kümmern.«
Luther Bradford stützte sich auf seinen Spazierstock. »Das stimmt, der sicherste Weg nach Westen führt über den Santa Fe Trail. Nur fahren die Postkutschen nicht mehr, seit die Indianer auf dem Kriegspfad sind, und auf einem Treck sind Sie zwar sicher, weil die Indianer eine solche Übermacht nicht angreifen, aber als alleinstehende junge Dame ...« Er schüttelte nachdenklich den Kopf. »Vielleicht sollten Sie doch lieber in St. Louis auf Ihren Verlobten warten.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich will nach Westen ... muss nach Westen.«
»Nun ...« Er überlegte wieder. »Ich wüsste da vielleicht eine Möglichkeit. In einer Woche schicke ich einen Planwagen mit Werkzeugen und Geräten nach Santa Fe ... mit einem Wagenzug. Sie könnten auf dem Kutschbock mitfahren. Keine besonders angenehme Reise für eine junge Dame, aber eine andere Möglichkeit, in die neuen Territorien zu kommen, sehe ich nicht. Ich würde Ihnen einen Brief für meinen mexikanischen Partner mitgeben. Meine Firma hat bereits einen Kutscher angeheuert.« Er ließ seine Worte wirken. »Wie gesagt, Sie dürfen gerne mitfahren, aber ich muss Sie warnen: Die Reise dauert zwischen zwei und drei Monaten und ist äußerst anstrengend. Ich selbst habe nur einmal daran teilgenommen und beschränke mich seitdem darauf, einen erfahrenen Kutscher für mich fahren zu lassen. Die Bedingungen sind nicht für einen zivilisierten Menschen geschaffen, schon gar nicht für eine Lady. Die anstrengende Fahrt, der Schmutz und die Moskitos, kaum Gelegenheit, sich zu waschen, sogar das Trinkwasser könnte knapp werden. Ganz zu schweigen von der Indianergefahr, auch wenn sie in letzter Zeit kaum noch große Trecks angegriffen haben. Wie gesagt, an Ihrer Stelle würde ich lieber in St. Louis auf Ihren Verlobten warten und mit ihm zusammen aufbrechen.«
Molly hatte in Irland genug erlebt, um die Flinte nicht ins Korn zu werfen. Nur um sicherzugehen, fragte sie: »Ich wäre doch bestimmt nicht die einzige Frau auf dem Treck? Ich habe gehört, es fahren auch Familien nach Westen.«
»Das stimmt, aber ...«
»Dann bin ich dabei, Mister Bradford.«
»Luther.«
»Luther«, wiederholte sie. »Ich habe keine Angst vor der langen Reise und der Schmutz und die Hitze und die Moskitos machen mir nichts aus. In Irland musste ich viel Schlimmeres ertragen. Waren Sie jemals in Irland ... Luther?«
»Nein, ich wurde in New York geboren. Meine Vorfahren kamen aus Schottland, aber das ist einige Jahrzehnte her. Ich war noch nie in Europa.«
»Seien Sie froh, Mister ... Luther. In Irland verhungern die Menschen auf offener Straße. Dort herrschen noch schlimmere Zustände als in den Armenvierteln von New York. Nein, ich habe keine Angst vor der langen Reise.«
Sie erreichten St. Louis an einem trüben Nachmittag. Dunkle Regenwolken hingen über der Stadt, als der Raddampfer seine Dampfpfeife ertönen ließ und sich
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