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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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sie schnaufend die Anlegestelle erreichte und zwei Männer sie vertäuten und eine Rampe für die Fuhrwerke auslegten, war er immer noch nicht erschienen und sie wurde langsam nervös. Hatte er kalte Füße bekommen? Oder noch viel schlimmer: War irgendetwas bei seinem Vorhaben, sich mehr Geld zu besorgen, schiefgelaufen? War er bei einem Diebstahl erwischt und ins Gefängnis gesperrt worden?
    Molly lief unruhig vor ihrem Koffer auf und ab. Alle paar Schritte blieb sie stehen und hielt nach Bryan Ausschau, beschattete ihre Augen mit der flachen Hand gegen die über den Häusern emporsteigende Sonne und sah Menschen, die hastig in ihre Betriebe eilten, Herumlungerer und Bettler in abgerissenen Kleidern, fliegende Händler mit ihren Karren, ratternde Pferdebahnen und Fuhrwerke. Ein Dampfzug der Hudson River Railroad fuhr in dichte Rauchschwaden gehüllt über die Eleventh Avenue. Einige Hunde liefen laut bellend neben der Lokomotive her, ein paar Kinder warfen mit Steinen nach dem Zug.
    Bryan war nicht zu sehen. Aus irgendeinem Grund hatte er sie versetzt.
    Sie setzte sich enttäuscht auf ihren Koffer und starrte in die Rauchschwaden der Lokomotive, die über den Fluss wehten und sich mit dem Qualm der Dampffähre vermischten. Die Fähre war bereits zum Ablegen bereit. »Bryan, verdammt!«, fluchte sie leise vor sich hin. »Was haben sie mit dir gemacht?«
    Neben ihr tauchte ein junger Mann in einem langen schwarzen Mantel auf. Er trug einen Zylinder wie die vornehmen Gentlemen, sprach aber den Dialekt eines Farmerjungen aus dem südlichen Irland. »Du bist Molly, was?«
    Sie antwortete ihm nicht. »Kommst du von Bryan? Was ist mit ihm?«
    »Molly Campbell, stimmt’s?« Er betrachtete sie von oben bis unten, wie es die meisten jungen Männer taten, und verzog keine Miene dabei. »Ich soll dir sagen, dass er dich nicht vergessen hat. Er muss eine Weile untertauchen ... wegen der Sache gestern.« Er senkte seine Stimme. »Ein Polizist wurde angeschossen. Ich weiß, dass Bryan unschuldig ist, aber die Polizei ist schon seit einiger Zeit hinter ihm her und will ihm die Sache unbedingt anhängen. Zurzeit kann er nicht aus New York raus. Zu gefährlich, falls sie die Züge überwachen und die Straßen sperren. Er muss für eine Weile hier in der Stadt untertauchen, bis Gras über die Sache gewachsen ist.« Er reichte ihr eine Papiertüte. »Hier sind deine Tickets und etwas Geld drin. Bryan sagt, du sollst in Santa Fe auf ihn warten. Er kommt nach, sobald er aus New York wegkann.«
    Sie griff zögernd nach der Tüte. »Ist ihm was passiert? Ist er verletzt?«
    »Bryan geht es gut.« Er war nervös. »Ich muss jetzt gehen.«
    Er verschwand so unauffällig, wie er gekommen war, und tauchte in der Menschenmenge unter. Molly blickte ihm verwirrt nach. Ein Polizist angeschossen? Bryan wurde als Verdächtiger gesucht? Das war versuchter Mord, dafür konnte er lebenslänglich hinter Gitter wandern. Wenn es sich bei dem Opfer um einen Polizisten handelte, waren die Richter besonders streng. Was hatten die Black Birds getan? Einen Laden ausgeraubt? In einem der vornehmen Hotels im Norden eingebrochen? So dumm konnte man doch nicht sein! Waren Bryan und seine Bande so übermütig geworden, dass sie geglaubt hatten, ein großes Ding drehen zu können? »Warum hast du das getan, Bryan?«
    Sie öffnete die Tüte, nahm die Tickets und die Geldscheine heraus und verstaute beides in ihrer Handtasche. Mit ihrem Koffer lief sie zur Fähre und ging an Bord. Im Schatten des Führerhauses setzte sie sich auf das Gepäckstück. Während der ganzen Überfahrt starrte sie vor sich hin und würdigte New York keines Blickes, als die Fähre schnaufend den Hudson überquerte. Ihre Gedanken waren bei Bryan, der wahrscheinlich in seinem Kellerversteck saß, sich nicht ans Tageslicht traute und auf die Hilfe seiner Kumpane angewiesen war, um nicht von der Polizei verhaftet zu werden. War er während der letzten fünf Jahre zum Verbrecher geworden? Reichte es ihm nicht mehr, einem englischen Spaziergänger die Geldbörse zu entwenden oder einen italienischen Jungen beim Glücksspiel reinzulegen? Überfiel er inzwischen Läden? War er schon so weit, dass er mit einer Pistole um sich schoss, um an Beute zu kommen? Natürlich waren die jungen Männer, die in solchen Banden organisiert waren, keine Heiligen, aber Pistolen besaßen die allerwenigsten, und so hirnverbrannt, auf einen Polizisten zu schießen, war bisher noch keiner gewesen.
    Als sie am anderen

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