Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
machten. Dann aber straffte sich das Seil plötzlich wieder, und die vertraute Gestalt des Makedonen löste sich aus dem nebligen Dunst, der über dem Flussbett lag. Behände kletterte Perikles am Seil herauf. Hingis streckte ihm seine unversehrte Hand entgegen, und schon kurz darauf wälzte sich der Makedone über die Abbruchkante.
    Sein Atem ging heftig, seine Kleidung war durchnässt, aber bis auf einige Schrammen, die er sich am schroffen Gestein zugezogen zu haben schien, war der Führer unversehrt, wie Sarah erleichtert feststellte.
    »Und?«, erkundigte sie sich gespannt, nachdem er wieder ein wenig zu Atem gekommen war.
    »Nichts.« Er schüttelte den Kopf. »Dunkle Röhren, durch die das Wasser schießt.«
    »Und Sie haben keine … Besonderheit bemerkt?«
    Erneutes Kopfschütteln. »Auf der einen Seite Wasser fließt hinein, auf der anderen wieder hinaus. Das alles.«
    »Ich verstehe«, sagte Sarah und konnte ihre Enttäuschung nicht ganz verbergen. »Und das Wasser selbst?«
    Wortlos reichte er ihr das Probefläschchen, das sich eisig kalt anfühlte und in dem eine trübe Flüssigkeit schwappte: Gebirgswasser, das Sand und andere winzige Teilchen mitführte.
    »Es sieht ganz gewöhnlich aus«, stellte Hingis fest.
    »In der Tat«, bestätigte Sarah gepresst. Mittels der Ausrüstung, die sie dabei hatte, würde sie das Wasser abends im Lager noch eingehender überprüfen, aber sie bezweifelte, dass dabei mehr herauskommen würde, als man auf den ersten Blick erkennen konnte – nämlich dass dies ganz gewöhnliches Wasser war.
    Aus einem gewöhnlichen Fluss …
    »Zufrieden?«, erkundigte sich Perikles, dessen Blicke zwischen Sarah und Hingis hin und her pendelten und der sichtlich nicht wusste, was er von der Sache halten sollte. Wahrscheinlich, sagte sie sich, hielt er sie für zwei verrückte Nordeuropäer, die irgendwelchen Hirngespinsten nachjagten – und womöglich hatte er sogar Recht damit …
    »Leider nicht«, erwiderte sie. »Wir werden weitersuchen müssen. Ein Stück westlich von hier befinden sich die ›Quellen des Acheron‹, Süßwasserquellen, deren Ursprung man ebenfalls im Hades vermutete.«
    »Und glauben, dass …?«
    »Ich hoffe«, drückte Sarah es vorsichtiger aus, »dass unsere Hinweise uns nicht getrogen haben und wir etwas finden werden, das meine Theorie rechtfertigt.«
    »Und – wenn irren?«
    Sarah biss sich auf die Lippen. »So weit sind wir noch nicht«, antwortete sie dann ausweichend, wandte sich ab und ging zu ihrem Pferd zurück. Dabei bemerkte sie, wie die Treiber in ihrer eigenwilligen Sprache untereinander tuschelten. Innerhalb von Augenblicken entspann sich ein heftiger Disput, der die Männer zu entzweien schien und der erst endete, als Perikles ein heiseres Machtwort plärrte.
    »Was haben die Männer?«, wollte Sarah wissen.
    »Sind unruhig«, erklärte der Führer, während er sich ein trockenes Hemd überzog. »Haben Angst.«
    »Weswegen?«
    »Klephten«, sagte er nur.
    »So weit im Landesinneren?« Sarah hob die Brauen. »Reicht der Arm des Widerstandes denn so weit?«
    »Manchmal.« Perikles zuckte mit den Schultern. »Kommen über die Grenze, töten türkische Soldaten und verschwinden wieder.«
    »Wir sind aber keine türkischen Soldaten.«
    »Hayir.« Perikles schüttelte den Kopf und wollte weiter zu seinem Pferd. Sarah jedoch ließ ihn nicht an sich vorbei.
    »Warum haben die Männer dann Angst?«, wollte sie wissen.
    »Weil Walachen sind, deshalb«, sagte er verächtlich und schlug sich vor die Brust. »Haben nicht griechischen tharros, keinen Mut.«
    »Und das ist der einzige Grund?«
    »Allerdings«, sagte der Führer auf Englisch, und seiner verkniffenen Miene war anzumerken, dass er nicht mehr darüber sagen wollte. Noch einen Augenblick zögerte Sarah, dann trat sie zur Seite und ließ ihn passieren, obgleich offensichtlich war, dass er ihr etwas verschwieg.
    Sie setzten ihren Weg fort, durch üppigen Laubwald, dessen Blätter sich rotbraun verfärbt hatten, weiter dem Verlauf des Flusses folgend, der zwischen den steil abfallenden Felsen dahinschoss und bisweilen fast von ihnen verschluckt wurde. Nur mehr ein fernes, unheimliches Gurgeln war dann zu hören, und es war offensichtlich, weshalb die alten Griechen ausgerechnet diesem Fluss die Eigenschaft zugeschrieben hatten, in den finsteren Hades zu führen.
    Als es zu dämmern begann, schlugen sie ihr Nachtlager auf, unweit des Flusses auf einer kleinen Lichtung. Der Missmut der Maultiertreiber

Weitere Kostenlose Bücher