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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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ergriff. Auch seinen Bart hatte man abrasiert, was seiner religiösen Überzeugung zufolge einer schrecklichen Erniedrigung gleichkam. Am grässlichsten jedoch war es für Sarah, die Verzweiflung in seinen Zügen zu sehen, die an diesem düsteren Ort, den niemals ein Sonnenstrahl erreichte, eine aschgraue Färbung angenommen hatten.
    Wenn sie jedoch gehofft hatte, in Kamals Augen ein wenig Freude oder zumindest ein kurzes Erkennen aufflackern zu sehen, so wurde sie bitter enttäuscht. Der Blick ihres Geliebten unterschied sich an Gleichgültigkeit in nichts von dem des Gefängniswärters und schien geradewegs durch sie hindurchzugehen.
    »Kamal, ich bin es. Sarah …«
    Eine Antwort erhielt sie nicht, Kamals Blick reichte weiter in ungeahnte Ferne.
    »Ich bin gekommen, um mit dir zu sprechen. Ich will dir helfen …«
    »Wie rücksichtsvoll von dir«, drang es tonlos zurück. »Aber ich brauche deine Hilfe nicht.«
    Die Kälte und der abweisende Klang seiner Worte entsetzten sie, aber immerhin hatte er ihre Anwesenheit zur Kenntnis genommen. Das war ein Anfang …
    »Du glaubst noch immer, dass ich dich verraten hätte?«, erkundigte sie sich sanft.
    »Ich weiß es«, verbesserte er, »denn niemand außer dir konnte all diese Dinge wissen.«
    »Nicht ganz«, konterte sie. »Du weißt, dass wir seit jener Nacht am Lagerfeuer, die fast ein Jahr zurückliegt, nie mehr über jene Ereignisse gesprochen haben …«
    »Und?«
    »Den Nachnamen deiner Mutter hast du mir nicht genannt«, eröffnete Sarah, »weder damals noch irgendwann später. Wie also soll ich den Constables davon erzählt haben können?«
    »Das beweist überhaupt nichts. Du könntest dir die Information auch auf anderem Wege beschafft haben.«
    »Vielleicht – aber wenn mir diese Möglichkeit offen stand, könnten sie dann nicht auch andere genutzt haben?«
    Kamal antwortete nicht sofort, und zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, dass sein Blick sie tatsächlich erfasste. »Was ich in jener Nacht sagte, habe ich dir unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, Sarah. Vor dem Gesetz der Wüste.«
    »Und ich habe mich an dieses Gesetz gehalten«, versicherte Sarah voller Nachdruck. »Ich habe Fremden gegenüber niemals auch nur ein Wort über das verloren, was du mir damals anvertraut hast, das musst du mir glauben, Kamal!«
    »Wie konnte die Polizei dann davon wissen?«
    »Das weiß ich nicht. Milton Fox sagte, ein anonymes Schreiben wäre bei Scotland Yard eingegangen, in dem alle Informationen standen.«
    »Und wer hat dieses Schreiben verfasst?«
    »Das weiß man nicht – und wird es wohl auch nicht mehr herausfinden. Denn unglücklicherweise«, – Sarah senkte schuldbewusst den Blick, weil ihr klar war, wie seltsam dies in Kamals Ohren klingen musste-, »ging der Brief schon kurz darauf verloren.«
    »Er ging verloren? Das einzige Beweismittel, mit dem du mich vielleicht von deiner Unschuld hättest überzeugen können, existiert nicht mehr?«
    Sie nickte nur – was hätte sie auch erwidern sollen? Was geschehen war, war nun einmal geschehen, und es stand nicht in ihrer Macht, etwas daran zu ändern.
    Kamal lachte bitter auf. Dann erhob er sich langsam und trat an die Tür. Er humpelte dabei – die klamme Kälte schien seinen Knochen bereits zuzusetzen.
    »Erwartest du wirklich«, fragte er, »dass ich dir das glaube?« In einer resignierenden Geste schüttelte er den Kopf. »Dabei hatte ich immer geglaubt, dass du anders wärst als diese bornierten Idioten. Dass dein Vater dich gelehrt hätte, dass der Wert eines Menschen an seinem Herzen gemessen wird und nicht an seiner Herkunft oder seiner Hautfarbe.«
    »Wie du sehr wohl weißt«, versicherte Sarah, »ist dies auch meine Überzeugung.«
    »Ist sie das?«
    »Kein anderer Mensch auf dieser Welt kennt mich auch nur annähernd so gut wie du, Kamal. Ich habe dir meine Ängste und Sehnsüchte offenbart, dich auf den Grund meines Herzens blicken lassen. Was hast du dort gesehen?«
    »Was ich dort gesehen habe?« Er schüttelte den Kopf. »Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Alles ist verworren, ich weiß nicht mehr, was ich fühlen soll …«
    »Dann bemühe nicht dein Gefühl, sondern deinen Verstand«, konterte sie. »Wenn es mir darum gegangen wäre, dich an die Polizei zu verraten, warum hätte ich so lange damit warten sollen?«
    »Wer weiß? Vielleicht, um einige Monate der Zerstreuung zu genießen …«
    »Wenn es so gewesen wäre«, schnaubte Sarah, bestürzt darüber, dass er ihr

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