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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Ptolemaios in seinen letzten Stunden von seltsamer Zuversicht beseelt war. Sein Rivale Antigonos war zu diesem Zeitpunkt bereits tot, aber Ptolemaios schien nicht gewillt, ihm ins Jenseits zu folgen. Mit aller Gewalt hielt er am Leben fest, und wie es heißt, ruhte seine Hoffnung auf dem Inhalt einer Phiole, die ihm seine Schwester und Gattin Arsinoë hinterlassen hatte.«
    »Arsinoë«, echote Sarah tonlos.
    Auch dieser Name war ihr schon untergekommen. War es bloßer Zufall, dass ihr all diese Personen und Orte erneut begegneten, oder verbarg sich mehr dahinter …?
    »Mit den Worten bíos aiónios soll er die Phiole angesetzt und sie bis auf den Grund geleert haben. Bíos aiónios ist Griechisch und bedeutet …«
    »… ewiges Leben«, übersetzte Sarah.
    »In der Tat. Doch Josephos’ Schilderung zufolge brachte der Inhalt der Phiole Ptolemaios keineswegs das Leben, sondern ein qualvolles Ende. Wie es heißt, starb er in der Überzeugung, dass Arsinoë ihn hintergangen und vergiftet hatte.«
    »Und?«, fragte Sarah.
    »Obwohl Ptolemaios in seinem Testament verfügt hatte, dass Josephos frei wäre und in seine Heimat zurückkehren dürfe, blieb dieser noch eine Weile in Alexandrien, um dem Geheimnis der Phiole nachzuspüren. Danach verlieren sich seine Spuren, bis sie sich viele Jahre später in Athen wiederfinden, wo Josephos, als Redner auf der Agora auftauchte. Und eben aus Athen, wo Josephos, anderen Quellen zufolge, im Jahr 289 hochbetagt aus dem Leben schied, brachten jüdische Kaufleute im 12. Jahrhundert eine geheimnisvolle Substanz nach Europa, die sie als hydor bíou bezeichneten.«
    »Als ›Wasser des Lebens‹«, übersetzte Sarah.
    »Und aus eben jener Zeit stammt auch die erste schriftliche Erwähnung des Golems in einem deutschen Begleittext der Kabbala«, fuhr Rabbi Oppenheim nickend fort.
    »Sie vermuten einen Zusammenhang?«, fragte Sarah verblüfft.
    »Was wissen Sie über das Ritual, mit dem der Golem zum Leben erweckt wird?«, fragte der Rabbiner dagegen.
    »Nur das, was in der einschlägigen Literatur zu finden ist – dass Rabbi Löw dem Golem ein Mal auf die Stirn zeichnete, um ihm Leben zu verleihen. Und einen Zettel unter seine Zunge legte, auf dem der Name Gottes stand …«
    »Ein Schem«, stimmte Oppenheim zu. »Und natürlich ist auch von allerlei Zauberformeln und alchimistischem Hokuspokus die Rede. Manche Quellen schreiben Löw gar Zauberkräfte zu. Natürlich entspricht dies nicht den Tatsachen, Lady Kincaid. Judah Löw war kein Zauberer, sondern lediglich ein frommer Mann – dazu einer, der die Geheimnisse der Geschichte kannte und sie sich zunutze machen konnte. Denn anders als die Überlieferung berichtet, wurde der Golem keineswegs mit Wasser aus der Moldau geformt, sondern mit eben jener Flüssigkeit, die einige Jahrhunderte zuvor aus Griechenland nach Mitteleuropa gebracht worden war.«
    »Dem Wasser des Lebens«, folgerte Sarah.
    »Genauso ist es.«
    »Sind Sie sicher?«
    »So sicher, wie ich nur sein kann, Lady Kincaid. Wenn Sie nach schriftlichen Beweisen suchen, so werden Sie nichts darüber finden, denn jenes geheime Wissen wurde mündlich tradiert und von jedem Oberrabbiner der Gemeinde an seinen Nachfolger weitergegeben.«
    Sarah nickte nachdenklich, während sie all diese neuen Informationen zu ordnen suchte. Alexandrien, der Gelehrte Josephos, das alte Griechenland … Hatte sie im Traum nicht einer Begräbniszeremonie im antiken Hellas beigewohnt? Und hatte Kamal in diesem Traum nicht eine Münze unter der Zunge gehabt, wie es damals in Griechenland Sitte gewesen war …?
    »Aber wie«, fragte sie, »hängt all dies zusammen? Was hat es mit Josephos zu tun? Und was mit dem Todestrank, der Ptolemaios verabreicht wurde?«
    »Das weiß ich nicht mit Bestimmtheit«, gab der Rabbiner zu. »Aber zieht man all dies in Betracht, so könnte man zu dem Schluss gelangen, dass es ehedem zwei wundertätige Elixiere gab – das eine in der Lage, Leben zu schenken, das andere dazu angetan, es zu nehmen.«
    »Und Sie meinen, dass Ptolemaios getäuscht wurde? Dass Arsinoë ihm das falsche Elixier hinterließ?«
    »Wenn Sie mit der Geschichte vertraut sind, dann wissen Sie, dass Arsinoë II. kein frommer Mensch gewesen ist. Der Überlieferung zufolge war sie eine gefährliche Intrigantin, deren Zügellosigkeit und Untugend beim Volk verschrien waren. Schließlich scheute sie sich nicht, das Bett mit dem eigenen Bruder zu teilen.«
    »War das bei den Ägyptern nicht allgemein

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