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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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einst selbst in meinen Händen hielt – und weil jene Menschen, die in seinen Besitz gelangen wollten, dieselben sind, die Kamal dies angetan haben.«
    »Der Zustand Ihres Geliebten … wurde künstlich herbeigeführt?«
    »Alles spricht dafür«, bestätigte Sarah, »denn das Symbol jener Menschen ist das Eine Auge, das sich auch auf einer der sechs Seiten des Würfels befindet – und das ich auf einem Zettel fand, der unter Kamals Zunge gelegt war.«
    »Wie der Schem«, ächzte der Rabbiner, und ihm war anzusehen, wie ihn dabei schauderte.
    »Darüber hinaus hatte mein Geliebter ein Mal auf der Stirn, das sich aus drei Buchstaben zusammensetzte: A, M und T. Sicher kommen Ihnen diese Buchstaben bekannt vor.«
    »Emeth«, flüsterte Oppenheim. »Genau wie beim Golem …«
    »Verstehen Sie jetzt, warum ich hier bin, Rabbi?«, erkundigte sich Sarah und schaute den Alten fragend an. »Warum ich so überzeugt davon bin, dass ich ausgerechnet hier das finden könnte, was meinen armen Kamal vor einem zu frühen und willkürlichen Ende bewahrt?«
    »Allerdings, Lady Kincaid – und ich nehme es als weitere Bestätigung dafür, dass Sie diejenige sind, von der in der Weissagung die Rede ist. Von weit her sind Sie gekommen, um nach dem Golem und seinem Wesen zu forschen – genauso heißt es in der Prophezeiung. Allerdings sollten Sie sehr vorsichtig sein …«
    »Das ist schon das zweite Mal, dass Sie etwas Derartiges andeuten. Wovon genau sprechen Sie, Rabbi?«
    Einen Augenblick lang schien Oppenheim antworten zu wollen, entschied sich aber anders. Beharrliches Kopfschütteln war die einzige Reaktion, die Sarah auf ihre Frage erntete. Unwillkürlich fühlte sie sich an die Warnung der Gräfin Czerny erinnert. Rabbiner, hatte sie gesagt, sind seltsame Leute. Sie pflegen in Rätseln zu sprechen, und mancher hat aus den Wirrungen ihrer Worte nicht mehr herausgefunden …
    Sarah hatte genug von verschwommenen Hinweisen. Sie hatte es satt, sich blindlings durch die Irrgärten zu tasten, die andere um sie errichteten – entsprechend schroff waren ihre Worte. »Mit Andeutungen kann ich nichts anfangen«, stellte sie klar. »Was Sie sagen, bestärkt mich nur in meinem Vorhaben, den Golem zu suchen und zu finden.«
    »S-Sie wollen den Golem suchen?«
    »In der Tat. Eingangs haben Sie mich gefragt, ob ich an den Golem glaube. Um die Wahrheit zu sagen, bin ich bereit, so ziemlich alles zu tun und alles zu glauben, was nötig ist, um Kamal zu retten. Finde ich den Golem, so finde ich womöglich auch das Wasser, das ihn zum Leben erweckt hat – und das meinen Geliebten womöglich retten könnte. Verstehen Sie das?«
    »Ich denke, ja …«
    »Wissen Sie, wo sich der Golem gegenwärtig aufhält?«
    Der Rabbi schüttelte den Kopf. »Nein, Lady Kincaid.«
    »Aber Sie sagten, Sie hätten ihn selbst gesehen.«
    »Durch Zufall, vor einigen Wochen. Mein Freund Daniel, der Milchmann, hatte mich in sein Haus eingeladen, und ich kehrte erst zu fortgeschrittener Stunde zurück. Im bleichen Mondlicht erblickte ich eine riesige, hünenhafte Gestalt, die sich mit ungelenken Schritten fortbewegte …«
    »Der Golem«, folgerte Sarah.
    »Wie die alten Schriften ihn beschreiben.«
    »Wohin ist er gegangen?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Sind Sie ihm denn nicht gefolgt?«
    »Lady Kincaid, ich bin Gottes Diener und kein Übermensch«, gestand der Rabbiner verlegen ein. »Anfangs konnte ich meine Glieder aus Furcht nicht bewegen. Als sie mir endlich wieder gehorchten, war der Golem verschwunden. Gerüchten zufolge, hält er sich tief unter der Stadt verborgen, in einem Zimmer ohne Zugang.«
    »Ein Zimmer ohne Zugang?«, erkundigte sich Gustav atemlos.
    »Wie es heißt, kann nur der es finden, der es finden soll«, bestätigte der Rabbiner.
    »Sie sprechen von Gerüchten«, sagte Sarah. »Haben denn auch noch andere den Golem gesehen?«
    »Gewiss, Lady Kincaid – und es werden immer mehr. Denn wie ich schon sagte, der Golem ist zurückgekehrt, um das Ende der Welt anzukündigen.«
    »Das Ende der Welt? Sie meinen die Apokalypse?« Sarah hob die Brauen. »Ist das nicht ein wenig hoch gegriffen? Letztendlich ist es doch nur eine von vielen Geschichten …«
    »Für uns nicht, Lady Kincaid«, versicherte der Rabbiner mit düsterem Blick. »Wenn der Golem zurückgekehrt ist, so muss dies bedeuten, dass auch das Böse zurückgekehrt ist – und dieses Böse bedroht unsere Gemeinde ebenso, wie es Sie bedroht und Ihren geliebten Kamal. Ich weiß nicht, ob

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