Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
eine dürre, knochige Hand hervor und packte sie am Arm.
    »Wohin so eilig, schönes Kind …?«
    Ein erstickter Schrei entfuhr ihrer Kehle, als sie merkte, dass sie nicht allein war. Im undurchdringlichen Dunkel, das zwischen den Fässern herrschte, kauerte eine schäbige Gestalt, die sich dort häuslich eingerichtet zu haben schien. Unter einem Stück Ölzeug hockend, das sie zwischen den Fässern gespannt hatte, war sie vor dem Regen geschützt und schien wie eine Spinne in ihrem Netz nur darauf zu lauern, dass sich ein ahnungsloses Opfer in ihre Nähe verirrte …
    »Was denn? Willst du nicht bei mir bleiben?«
    Das hässlich krächzende Organ, von dem unmöglich zu sagen war, ob es einem Mann oder einer Frau gehörte, verfiel in schadenfrohes Gekicher, und für einen kurzen Augenblick glaubte Sarah, ein schmales Gesicht zu erkennen, das von wenigen Haarsträhnen umrahmt wurde, die von einem ansonsten kahlen Haupt fielen. Große, dunkel umrandete Augen, in denen Mordlust flackerte, starrten aus der Dunkelheit, und Sarah tat das Einzige, was ihr in den Sinn kam – sie schlug zu.
    Ihre zur Faust geballte Rechte drosch auf den Arm ein, der sie jedoch weiter wie ein Schraubstock umklammert hielt und mit aller Kraft versuchte, sie ins Dunkel zu zerren. Das Kichern wurde lauter, und plötzlich zuckte eine zweite Hand aus der Dunkelheit, packte Sarah an der Kehle und drückte zu.
    »Komm nur, Schätzchen. Komm nur …«
    Ob ihr Peiniger männlich oder weiblich war, wusste Sarah noch immer nicht zu sagen. Fraglos war es jedoch die Stimme eines Menschen, dessen Verzweiflung groß genug war, um einen kaltblütigen Mord zu begehen. Vergeblich versuchte sie, die Hand von ihrer Kehle zu entfernen – erneut erntete sie dafür nur höhnisches Gelächter.
    Dann entsann sie sich des Revolvers …
    Mit ihrer freien Hand versuchte sie, unter den Mantel zu greifen, aber infolge des Regens war der Stoff durchnässt und schwer. Der Straßenräuber, wer er auch immer sein mochte, kicherte nur noch lauter und verstärkte seinen Griff, worauf Sarah vollends keine Luft mehr bekam. Ihre Bewegungen wurden hastig und ungenau, erfolglos versuchte sie, den Griff der Waffe zu erreichen.
    Schon begann sie, dunkle Flecke vor den Augen zu sehen. Ihre Lungen schmerzten, und ihre Kräfte drohten nachzulassen. Das Gelächter ihres Peinigers lag ihr in den Ohren, und für einige endlos scheinende Sekunden befürchtete sie, es wäre das letzte Geräusch, das sie auf Erden zu hören bekam – als ihre zitternde Rechte endlich das Holster fand, den Griff der Waffe packte und sie herausriss.
    Das Kichern verstummte jäh und ging in ein entsetztes Keuchen über, gleichzeitig löste sich der Griff um Sarahs Kehle. Heiser schnappte sie nach Luft und spürte, wie die Lebensgeister augenblicklich zurückkehrten – auch wenn sie weiterhin kaum etwas anderes erkennen konnte als pulsierende Flecke, die wild durcheinander kreisten.
    »Fort! Verschwinde!«, zischte sie und zielte mit dem Lauf des Revolvers dorthin, wo sie ihren Gegner vermutete. Daraufhin verschwand auch die zweite Knochenhand, und mit einem entsetzten Wimmern zog sich etwas zwischen die Fässer zurück, das – wie Sarah trotz ihres noch beeinträchtigten Sehvermögens zu erkennen glaubte – keine Beine besaß, sondern sich auf seine Arme gestützt fortbewegte.
    Das Ansinnen, dem gemeinen Räuber eine Kugel hinterherzuschicken, verpuffte schlagartig.
    Erschüttert raffte sich Sarah auf die Beine und taumelte zurück, stieß mit dem Rücken gegen eine Hauswand. Daran gelehnt, blieb sie schwer atmend stehen, im strömenden Regen, bis auf die Haut durchnässt. Gehetzt blickte sie sich um und nahm dankbar zur Kenntnis, dass ihre Sicht sich wieder besserte. Den Colt hielt sie weiterhin schussbereit und mit beiden Händen umklammert.
    Erst als sich ringsum nichts mehr regte und sie sicher sein konnte, keinem weiteren Angriff ausgesetzt zu sein, fiel ihr der Grund ihrer nächtlichen Exkursion wieder ein. Sich noch einmal um ihre Achse drehend, um sicherzustellen, dass ihr niemand folgte, setzte sie ihren Weg durch die Gasse fort. Vom Golem war jedoch weit und breit nichts mehr zu sehen.
    Sarah erinnerte sich, dass die geheimnisvolle Kreatur zuletzt in eine Seitengasse hatte abbiegen wollen, also entschied sie sich für diese Richtung. Die Gasse, eine kurze, nur wenige Fuß breite Passage, führte unter steinernen Bogen hindurch auf einen von Unrat übersäten Hinterhof. Auf der gegenüberliegenden

Weitere Kostenlose Bücher