Am Ufer (German Edition)
nachmittags ein Stück Brot mit Schokolade isst, ein Donut, ein Glas Milch trinkt; in seinem Zimmer mit einem Bärchen im Arm schläft, sagen wir mal. Diese Familienlandschaft, die er zeichnet, kann nicht wahr sein. Oder vielleicht doch, vielleicht waren die beiden so müde, dass sie einander ein bequemes Möbel waren, in das man sich fallen lassen kann, wenn man nach einem erschöpfenden Tag nach Hause kommt, nach einer anstrengenden Reise, der Körper des anderen, das anheimelnde Schweigen der Siesta; in seinem Fall das Wispern eines morgendlichen Traums, denn ihr gemeinsames Leben begann, wenn die Frau müde oder leicht wankend zurückkam bei einem perlmuttfarben schimmernden Himmelsrand oder im Licht des schon angebrochenen Tages, die ersten Sonnenstrahlen vergolden die Möbel des kleinen Wohnzimmers, der Küche, des Schlafzimmers, mit diesem süßen Honig der Frühe. Arbeitete er da schon bei einer Tankstelle? Wählt er die Nachtschicht, um den Tag mit ihr zu verbringen, oder versucht er vielmehr, seine Zeiten auf die des Kindes abzustellen, es von der Schule abzuholen und ihm einen Imbiss zu bereiten? Die Frau kommt müde von der Arbeit zurück, lässt die Jalousie im Schlafzimmer runter, duscht, trocknet sich ab, und er wartet auf sie, zwei dampfende Kaffeetassen stehen auf dem Tisch, daneben knusprigaufgebackene Brotscheiben vom Vortag, ein halbes Dutzend schwärzliche Streifen vom Rost, Brot, an dem sie lustlos knabbert; vielleicht hatte auch der Junge Fürchterliches erlebt, sodass er meinte, besser bei diesem Mann bleiben, der nicht die Stimme und, vor allem, nicht die Hand hob wie die anderen Männer, die zuvor in seinem Leben aufgetaucht waren; besser dieser schweigsame Mann, der, wenn er heimkam, das glänzende Papier aufwickelte und ein paar Scheiben Mortadella mit Oliven und kleinen roten Paprikastreifen herausholte; die Wildschweinkopfsülze, die Truthahnpastete, die Tafel Schokolade. Nein, so sind die Dinge nicht, so können sie nicht sein, das menschliche Wesen ist schlechter. Nichts entkommt dem, was es ist. Alle Farben bilden ein und denselben Fleck. Aber warum bin ich nur stehen geblieben, um mit ihm zu plaudern? Was mache ich hier? Kurz Benzin tanken und so schnell wie möglich nach Hause und ins Bett: Ich komme gerade von der letzten Schicht im Orangenlager und habe es eilig, ich bin müde, etwas in der Küche naschen, duschen und rein ins Bett; besser gesagt, ich war müde, seine Worte haben die Müdigkeit verfliegen lassen. Joaquín wird schon im Bett sein, oder er hört Radio mit Kopfhörer; zu dieser Uhrzeit gibt es Sport, alle Sender bringen den zur selben Zeit, also kann man nichts anderes als Fußball hören. Ich bin erschöpft. Warum habe ich nur dieses absurde Gespräch mit dem Mann an der Tank stelle angefangen, den ich nur vom Ansehen kenne, er hat mich schon so oft bedient, aber bislang habe ich mich darauf beschränkt, ihm zuzulächeln, wenn er mir den Apparat für die Scheckkarten zuschob, damit ich meine Geheimnummer eingab. Er reichte mir den Beleg, gab mir meine Karte zurück, und ich dankte, während ich die Rechnung in die Tasche steckte. Auf dem Weg zur Tür wechselten wir manchmal noch drei oder vier Sätze, ich wünschte ihm einen guten Abend, was er einfach nur wiederholte, als wäre seine Bassstimme ein Echo der meinen. Heute hat er nicht zugelassen, dass ich selbst tankte, er beeilte sich, mir den Schlauch zu entwenden, ich habe nichts zu tun, und während er das Benzin in den Tank strömen ließ, hob er ein paar Mal den Kopf und lächelte, eher eine gleichmütige Grimasse, aber das hat gereicht, eswar, als hätte er mich hypnotisiert, wir gingen dann in den Verkaufsraum mit der Theke und der Kasse, ich holte zum Zahlen die Scheckkarte heraus, und statt den Mund zu halten, fing er, als ich meine Geheimnummer eintippte, ein Gespräch an, der Mann kam hinter der Theke hervor, setzte sich auf einen Hocker und interessierte sich für meine Arbeit, du kommst ja immer zu dieser Uhrzeit, er fragte nach meiner Familie, nein, nein, zu Hause wartet jetzt keiner mehr auf mich, die Kinder und mein Mann schlafen, sage ich, oder mein Mann hat die Kopfhörer auf, hört etwas oder schaut sich eine Natursendung an, seit er nicht mehr arbeitet, verbringt er die Nächte mit den Kopfhörern, ich habe gelacht, ein kleines, nervöses Lachen, nein, er ist nicht viel älter als ich, gerade einmal drei Jahre älter, fast gleich alt, sagte ich, warum, weiß ich nicht, und er sagte, er lebe
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