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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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dann wieder heim, so wie ich zu meiner Arbeit aus dem Haus ging und wieder heimkam. Ich weiß schon, du findest das sonderbar, aber ich habe darin nie mehr als eben eine Arbeit gesehen; und sie sah es, glaube ich, auch so. Was willst du fragen? Ob sie sich je von irgendeinem Freier angezogen fühlte, ob sie hin und wieder bei denen, mit denen sie vögelte, Lust verspürte? Das habe ich nie erfahren. Ich glaube, es hat mich nicht interessiert. Interferenzen im Radio bei der Übertragung eines Fußballspiels. Das bedeutet nicht viel. Auch ich fühlte mich von Frauen angezogen, die zum Tanken kamen. Ich sah, wie sie sich vorbeugten zum Einsteigen oder um das kleine Portemonnaie oder die Tasche vom Sitz zu holen und dabei die Jeans die Hälfte des Hinterns freigaben und die andere Hälfte einquetschten; oder wenn sich der Körper unter dem fast durchsichtigen Rock abzeichnete, der auch nur bis zum halben Schenkel ging. Und ich geb’s ja zu, ich hatte den einen oder anderen Flirt, lächelte ihnen zu, sagte ihnen Schmeicheleien, Doppeldeutiges. Aber ich habe ihr nie Hörner aufgesetzt. Ich habe nie zu einer gesagt, komm, gehin die Toilette und zieh den Slip aus, geh in das kleine Büro, ich komm gleich; oder: Warte, bis ich Feierabend habe, und wir fahren auf einen Seitenweg und machen es im Auto oder mieten ein Zimmer für ein, zwei Stunden im Hotel Parada, das ist gleich hier, nur 300 Meter entfernt. Das habe ich nie getan, und auch sie hat es, glaube ich, nie mit einem Kunden gemacht. Ich bin sicher – und darauf kommt es an –, dass sie sich keinem je gratis hingegeben hat. Warum sollte sie auch, wo sie doch Geld dafür nehmen konnte? Oder, anders herum, wenn sie das wollte, warum sollte sie mich dafür nehmen, wenn sie doch andere haben konnte, die auch noch bereit waren zu zahlen? Was sie machte, war ihre Arbeit. Und ich war ihr Zuhause; ihr Sohn (ich habe ihn besser behandelt als ein eigenes Kind) und ich waren ihr Zuhause. Die Möbel, das Sofa, der Geruch nach Kaffee und Toast, wenn sie mittags aufwach te, das war ihr Zuhause. Ich glaube, das ist gar nicht so schwierig zu verstehen. Zu Hause hat sie sich nie blöd benommen, sich nie launisch gezeigt, ist nie wütend oder laut geworden. Im Übrigen, ich weiß nicht, ob mit viel oder eher wenig Lust, sie ließ sich vögeln, und ich verging in ihren Armen. Sie duschte, parfümierte sich und legte sich aufs Bett, und dann wusste ich, an dem Morgen wollte sie, dass ich sie vögele, obwohl sie müde sein musste und manchmal auch angeekelt von dem, was andere noch vor einer Weile mit ihr getrieben hatten. Und wie ich schon sagte: Mit mir hat sie nie geschimpft, nie auch nur die Stimme erhoben, ist nie wütend geworden; vielleicht, weil sie den Rummel satthatte, all die Stimmen, den Lärm der Gläser auf dem Tresen oder beim Anstoßen, und weil sie sich in ihrem anderen Leben, bei der Arbeit, launisch gab, denn die Nutten leben an der Theke ihre Launen aus: Hol mir mal ein Päckchen Marlboro, gib mir mal ’ne Münze für den Automaten, spendier mir erst mal einen Drink, bevor ich dir die Farbe meines heutigen Tangas zeige, diese Sätze, die Nutten sagen, um dich zurückzustutzen, damit du weißt, dass Kommen und Zahlen nicht alles ist, dass man sie gewinnen muss, es gilt das Spiel
Mann verführt Frau
aufzuführen, auch wenn es ein kleiner Schwindel ist; es gilt zu verkleiden, was es hier, wie allgemein bekannt, zu holen gibt, so zutun, als sei es eine Frage der Sympathie oder Antipathie, von Anziehung oder Ablehnung, ob man mit einer Frau aufs Zimmer geht, und nicht nur eine Frage des Geldes, wobei ihnen alles Gebeulte bei dir am Arsch vorbeigeht, außer der gebeulten Börse, aber sie mögen es, wenn du so tust, als glaubtest du, sie seien nur aus einer Laune heraus dort, weil sie sich zu Hause langweilen, oder weil sie die Freundinnen nicht mögen, die mit ihnen ins Kino wollen, dass sie dort stehen, weil sie seit Monaten genau auf dich warten. Vielleicht hatte sie, gerade weil sie zu diesem ganzen Getue gezwungen war, eine höhere Meinung von der Familie; weil sie das kannte, täglich erlebte, weil sie mit der Lüge, dem Theater lebte und deshalb wusste, was es bedeutet, außerhalb jeglicher Familie zu stehen, dem Erstbesten ausgeliefert zu sein, der sich einer Bartheke nähert, keinen Haltegriff haben, Wind und Wetter ausgesetzt sein. Als ich sie kennenlernte, war sie dreißig, kein kleines Mädchen mehr, aber du weißt ja, es gibt ein Publikum für solche Frauen

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