Am Ufer (German Edition)
nie verziehen, dass sie einen Habenichts geheiratet hat. Die Steine sind Saphire, nimm sie, in welchen Händen wären sie besser aufgehoben. Leg sie an, ich möchte sie an dir sehen. Dich damit sehen. Wunderschön, du siehst wunderschön aus, das Blau des Anhängers und der Ohrringe lässt deine Haut noch honigfarbener erscheinen. Schau dich im Spiegel an. Nein, nein, nicht ablegen. Du trägst sie. Heute ist unser Fest. Ist dasder Augenblick loszuheulen? Deinem Wilson sagst du, ein alter Mann hat sie dir geschenkt. Aus Dankbarkeit für die Pflege und die Zuneigung, die du ihm und seinem noch älteren Vater entgegenbringst. Was soll dein Mann da eifersüchtig sein? Deine Küsse und deine Tränen kommen gleichzeitig. Nasse Küsse. In hundert Jahren haben die Steine nicht dieses wasserblaue Leuchten verloren und das Weißgold nicht seinen kalten Glanz. Diese Unveränderlichkeit der Schmuckstücke gibt Hoffnung, Liliana. Zu wissen, es gibt Dinge, die in einer sich wandelnden und verschlechternden Welt standhalten. Wissen Sie, dass die Jungfrau vom Rosenkranz von Chiquinquirá die Farbe verloren hatte, und plötzlich, eines Tages, geschieht das Wunder und die Farbe ist wieder da, schöner als je zuvor? Und wenn an uns so ein Wunder geschehen würde? Wenn plötzlich all dies, was schlecht und schmutzig ist, voller Farbe wäre? Komm schon, Liliana, mach uns einen Kaffee. Sag nicht, dass du keinen Tintico mit mir trinken magst. Haben Sie Lust, Doña Liliana, ein Tässchen Kaffee mit mir zu trinken? Und ich kann dich dabei in deinem Schmuck betrachten. Wir Alten sehen uns gerne die Jugend an. Meinem Onkel Ramón gefiel das, und er erzählte davon. Ich war zu jung, um es zu verstehen. Ich muss dir einmal von ihm erzählen.
Álvaro hat graubraune Augen, die von Julio sind grünlichblau, umrahmt von dichten Wimpern, die er absichtsvoll einsetzt, er senkt sie langsam, wenn er um etwas bitten will, er klappert unwirsch mit ihnen, wenn er mir Angst machen will und darauf anspielt, dass er schwarz gearbeitet hat, ohne Vertrag. Dagegen bin ich gewappnet. Wenn er mich verklagt, werde ich zahlen, aber er muss dann Jahre von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zurückerstatten. Such es dir aus, sagt ihm mein Blick, und er lässt wieder langsam die Lider sinken. Jetzt ist da Weichheit und Resignation zu sehen. Ahmeds Iris, tiefschwarz glänzend, treibt auf einem feuchten Grund gelblicher Hornhaut, der die Zeichnung der Pupille weder auflöst noch verschwimmenlässt, sie vielmehr hervorhebt. Er blickt mit falscher Wut, und das sagt mir: Ich weiß, dass du vor den anderen diese Nummer abziehen musst, aber danach, das weiß ich doch, wirst du mich anrufen, wir werden weiter zusammenarbeiten, im Sumpf zum Fischen gehen und auf dem Gras unseren Imbiss zu uns nehmen: Das will er mir sagen. Er glaubt, dass hier viel Theaterdonner dabei ist. Dass ich da etwas inszeniere, um jemanden loszuwerden, mit dem ich nicht zurechtkomme (Julio? Nein, doch eher Jorge). Mal sehen, was passiert, wenn er merkt, dass es kein Zurück gibt. Ich werde es nicht sehen, werde nicht da sein, es wird mir egal sein. Jorges kastanienfarbene Augen, klein und glänzend, fast vergraben zwischen kleinen Fettwülsten, können verletzen, sie geben seinen Worten und sogar seinem Schweigen etwas Klebriges, sie lachen, drohen, spotten, sie beide ganz allein, die Augen von Jorge; der Pragmatiker sagt: Ich kann noch zwei Jahre Arbeitslosengeld beziehen, lautet der Bescheid. Lass bei der Entschädigung was rüberwachsen und wir bleiben beste Freunde. Aber falls doch noch etwas geht, ich bin dabei. Er meint, dass es für einen guten Schreiner – und das ist er – immer etwas geben wird. Die Arbeitslosigkeit nur ein Urlaub zwischen zwei Jobs. Was ich von Joaquín denken soll, weiß ich nicht. Ein desorientiertes Kind, feuchte Augen, kurz davor, in Tränen auszubrechen, weil das Spielzeug kaputtgegangen ist, das ihm gerade die Heiligen Drei Könige gebracht haben. Jetzt beim Gehen habe ich die fünf Augenpaare vor mir, ich kann sie sehen, unterscheiden, nicht wie in den letzten Tagen, als sie für mich, wenn sie mich von der anderen Seite des Tisches aus ansahen, zu einem einzigen Augenpaar verschwammen, das alle in sich aufnahm und vermischte, ein fragmentarisches Facettenauge, drohend, ein Polyphem-Auge, in das ich nur zu gern einen Pfahl gerammt hätte, auf dass es aufhöre, mich zu überwachen, anzuklagen, anzubetteln und zu verhöhnen, ein Auge, das gleichermaßen tiefschwarz,
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