Am Ufer (German Edition)
Bomben, den Bajonetten. Mehr noch als die explodierende Bombe schreckt der Augenblick, da du dich einem Feind gegenübersiehst; die Bombe verlangt nichts von dir, du musst nur abwarten, das Problem wird vom Schicksal gelöst, aber wenn du dem Feind ins Auge blickst, musst du entscheiden, die größte Angst jedoch überkam mich, als ich entdeckte, dass ich Teil des geheimen Heers der Feiglinge war. Es ärgerte mich, ein potenzieller Deserteur zu sein, was aber, wie ich mit der Zeit merkte, jeder Mann ist, der in einen Krieg gezerrt wird; vor allem jeder halbwegs intelligente Mann mit ein bisschen gesundem Menschenverstand. Menschlich ist, zu desertieren statt auszuharren, bis dich das Blut, das fremde oder das eigene, durchnässt. Nicht einmal die Ideale können dir das aus dem Kopf schlagen. Da kann einer sagen, dass man mit vollem Einsatz kämpft, weil man eine gerechte Sache verteidigt. Es ist nicht wahr. Über solche Dinge kann man nur mit denen reden, die dort waren, nur wer das erlebt hat, weiß, was ich meine. Dieses eine Mal unterscheide ich nicht zwischen denen der einen und jenen der anderen Seite, es geht nur darum, wer dabei war, wer über diese kargen, eisbedeckten Felsen – Landschaften, die den trügerischen Eindruck von Fragilität vermittelten – das Gewicht seines Körpers geschleppt hat: Das durchlebt zu haben verbindet dich auf geheimnisvolle Weise mit dem Feind, mit dem, der es damals war, mit dem, der es weiterhin gewesen ist, es macht euch zu Komplizen, zu Kameraden, und zum Kamerad deines Feindes zu werden macht alles nur noch klebriger, schuldhaft, absurd, grausam und sinnlos, aber das gilt für die Erinnerung, wenn nur ihr beide – von der einen und von der anderen Seite – wisst, wovon ihr redet, und die Ignoranz derjenigen verachtet, die, da sie nicht dort waren, nichts wissen, aber wie die Papageienimmer wieder von diesem und jenem plappern, Heldentum, Moral, Entsagung. Deine Feinde wissen auch Bescheid, obgleich sie gesiegt hatten und weiter grausam wüteten, denn der Sieg ist eine starke Droge, die alles vergessen lässt, sie schafft neue Gefühle, betäubt oder verkrüppelt andere, entfesselt die Hoffart und die Gier, als Sieger willst du, dass der Frieden dir doppelt vergilt, was du im Krieg eingesetzt hast, du fühlst dich als Herr des Friedens. Sie fühlten und verhielten sich wie die Herren; trotz alledem wissen sie mehr als alle Daheimgebliebenen von deiner Seite, sie verstehen dich besser als deine Familie, als die Genossen, die das Glück – oder das Geschick – hatten, auf irgendeinen Posten in der Nachhut zu kommen, in den Kasernen, Hospitälern, Büros, Waffenmagazinen, Orte, wo sie in drei Kriegsjahren keinen einzigen Schuss abgeben mussten. Ich bin um die ersten beiden herumgekommen und habe das letzte Jahr durchlitten. Ich sah auf meine Hände und dachte an den Wert dieses Werkzeugs, fest und flexibel zugleich, fähig zu arbeiten, zu schnitzen, zu streicheln, aber auch zu schlagen, zu brechen, zu töten. Ich weiß schon, heutzutage sind die Hände immer weniger wert, man kann viel erledigen, indem man einen Schalter knipst, einen Hebel vor- und zurückbewegt, eine Taste anschlägt, ein Steuergerät bedient, einen Knopf drückt, aber damals waren die Hände noch die große Gabe des Menschen, das, was ihn mit dem Schöpfer verband, der Teil seiner Geschicklichkeit, den der große Bildhauer des Universums, der, wie wir wissen, nicht existiert, dem Menschen mitgegeben hatte (mein Vater sagte allerdings: Vergiss den Kopf nicht, die Hände sind nur die Zange, der Kopf macht den Menschen aus, dort sitzen die menschlichen Mechanismen, Vernunft, Begehren und Willen, sowie die Fähigkeit, der Unbill zu widerstehen).
ENDE DER NOTIZEN VON ESTEBANS VATER IM KALENDER .
P.S. Wenn sie in ein paar Tagen kommen, um das Haus zu leeren, und das Mobiliar in die städtische Lagerhalle gebracht wird oder in irgendeine Gewerbehalle, die man für das Beschlagnahmte aus den letzten zwei Jahren nutzt, wird natürlich keiner in dem Haufen vonPapieren, Rechnungen, Lieferscheinen, Katalogen, Zeitungen und Zeitschriften auf den Kalender von 1960 achten. Vor der Versteigerung der Möbel, die einige Monate später stattfindet, werden von den Angestellten die Schubladen und Schränke von Unnützem befreit, worauf Papiere und Kleider auf die Mülldeponie des Bezirks kommen, wo sie mit anderem Abfall verbrannt werden. Aber bis es so weit ist, müssen noch ein paar Monate vergehen.
Unmöglich, dieses
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