Am Ufer (German Edition)
Wassers splittern lässt. Ich schließe die Augen und höre meinen Vater, das Geräusch des falschen Gebisses, das den Salat zerkleinert, die Cracker zermalmt. Dieses Geräusch. Es dringt in mich ein. Das Knacken einer Kakerlake, die man mit dem Fuß zerdrückt. Das Mahlen der Cracker, der Geruch, wenn ich die Windeln von der Haut löse. Seine Augen sind starr auf mich gerichtet, und ich weiß nicht, was sie in sich tragen. Die Alten haben das schlechteste Gedächtnis, vergessen aber am wenigsten. Wie weich der Schlamm, wie faulig der Geruch ist. Durch meinen Kopf ziehen Erinnerungen, die mir gehören, weil ich sie selbst gesammelt habe, andere habe ich geerbt, aber sie sind nicht weniger lebendig, sie gehören zum Strudel eines Lebens: sie ziehen vorbei, gleiten dahin, Haupt- und Nebenfiguren kreisen in einem Karussell, das nicht nur sie aufnimmt, denn wie bei den Theaterkompanien, die auf Tournee gehen mit Truhen, in denen die Kostüme liegen, und Kisten, in denen das Bühnenbild für die Stücke verpackt ist, die sie aufführen wollen, umfasst auch meine Tonbildschau die Requi siten: da sind die Gesichter, die Gesten und die Stimmen (ja, ich höre all diese Leute sprechen, es hilft nichts, wenn ich mir die Ohren zuhalte), aber da sind auch die Kleider, die sie tragen, einst getragen haben; die Zimmer, in denen sie sich bewegten, die Möbel. In meinen Albträumen erscheinen die Fassaden wie auch die Innen räume der Häuser undwie es roch, jedes Zimmer hat seinen eigenen Geruch; die Landschaften, die Geräusche, das Licht, das je nach Tages- oder Nachtzeit sich stündlich verändert, die Temperatur – Hitze oder Kälte, die Dichte der Luft, die zudringliche Feuchtigkeit am Abend –, die Mattigkeit beim Betrachten der Regentrop fen, die sich die Fensterscheibe hinabwinden, wie meine Mutter das Bügeleisen ihrem Gesicht nähert, um zu prüfen, ob es schon heiß ist, oder wenn sie die Wäsche einsprengt und die Tropfen mit einem Zischen verdampfen, sobald das Bügeleisen sie berührt; die geröteten Augen von Onkel Ramón, wenn er, sich an den Wänden entlangtastend, die Treppe des Bordells hinuntergeht, wie er sich auf dem Beifahrersitz den Sicherheitsgurt anlegt und hinter der Autoscheibe die öden Industriebauten vorbeiziehen, die Lokale, an denen Tag und Nacht die Neonlichter blinken, der Schatten der Orangenbäume, die Reisfelder in Smaragdgrün, deren Glanz von den letzten Sonnenstrahlen verlängert wird, als komme das Licht aus dem Grün und falle nicht darauf, auf das Röhricht, das Schilf, die Teichkolben.
Es ist nicht wahr, was sie sagen, von wegen: du kommst ohne nichts und gehst ohne nichts. Du, Francisco, hast bei deiner Ankunft sehr wohl etwas gehabt: eine schöne Wiege, Mullwindeln, ein lauwarmes Trinkfläschchen, eventuell eine Amme, das weiß ich nicht, aber ein wenig später dann das Kindermädchen oder die Gouvernante. Wenn ich aus der Schule kam, sah ich dich und deine Geschwister im Park eure Jause unter der Aufsicht dieser weißbeschürzten Frau einnehmen. Aber das erklärt eigentlich wenig. Wichtig ist nicht, wie du gekommen bist und wie du gehen wirst, sondern wie es dir dazwischen geht. Ob du dich um das Notwendigste sorgen musst, oder ob es dir selbstverständlich zufällt, ob die Dinge dir in die Hände fallen oder dir zwischen den Fingern zerrinnen, oder, noch schlimmer, wenn du gar nicht erst an sie ranreichst. Wenn dein Leben darin besteht, für das zu kämpfen, was du, wie du weißt, nicht haben wirst. Das ist das Gift. Das, was du nicht erreichst, verfolgtdich. Es geht nicht um Anfang und Ende des Theaterstücks, der Vorhang hebt sich – der Vorhang senkt sich, sondern um das Stück selbst, wie es sich entwickelt, darauf kommt es an, denn das ist das Leben; Demagogen wie mein Vater erzählen dir, dass es auf den Anfang ankommt – die ursprüngliche Klassenzugehörigkeit: das sagen die Revolutionäre; oder auf das Ende – die letzten Dinge, das Jenseits, Himmel und Hölle: das sagen die Priester und in gewisser Weise auch Leute wie Francisco. In dem einen wie im anderen Fall rechtfertigt das Ziel (für Francisco war das erst die Revolution, später eine moderne, weltoffene Gesellschaft) die Mittel – zeitgenössische Erscheinungsformen des Jesuitentums. Die Ideologen erzählen dir das – alles eine Frage von Anfang und Ende –, darin jedenfalls sind sie sich einig, denn auch für die Leute aus den benachteiligten Klassen wird das täglich Leid durch das Ende geheiligt, die einen
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