Am Ufer (German Edition)
gepfercht, dort fristeten wir unser Leben, mussten uns beim Schlafen abwechseln, weil wir nicht alle liegend auf den Boden passten. Ich machte Schlüsselanhänger und diese kleinen Medaillen, die sich die Gefangenen mit einer Schnur um den Hals hängten: ein Name, Initialien, eine Blume, ein Platanenblatt. Die politischen Zeichen waren verschwunden, es kam uns gar nicht in den Sinn, etwas von dem nachzubilden, was uns die letzten Jahre begleitet hatte. Das Holz bekam ich fast immer von den Wächtern, dafür musste ich ihnen dann etwas schnitzen. Nachdem ich aus dem Gefängnis heraus war, habe ich nichts mehr geschnitzt, nicht mal einen Stock, manchmal versuchte ich es, holte mir ein Stück Holz, richtete es her, polierte es behut sam, aber dann saß ich davor wie ein Tölpel, ich glaube, es kam mir dann alles in den Sinn, was ich verpasst hatte. Machte es wieder leben dig. Ich sagte zu Germán: Ich habe es nicht geschafft, aber du kannst ein guter Kunsttischler werden, auch wenn ich es mir nicht leisten kann, dich auf die Kunst- und Gewerbeschule zu schicken oder auf die Kunstakademie, wo ich gerne gewesen wäre. Ich bring dir das bei, was ich kann, die Grundbegriffe, und dann wirst du dich schon von selbst weiterentwickeln. Du wirst schon sehen. Vielleicht können wir dir irgendwann einmal einen Lehrgang bezahlen, oder du kannst bei irgendeinem Meister weiterlernen. Wenn dein Bruder mir in der Werkstatt hilft, können wir dir nach dem Militärdienst vielleicht sogar die Kunstakademie zahlen.
Es war das erste Mal, dass ich vor einem meiner Kinder in aller Klarheit von dem, was in den letzten Jahren passiert ist, gesprochen habe. Er hat mich kühl angesehen und gesagt:
»Ich will aber nicht Kunsttischler werden. Und ich will auch nicht hier arbeiten, wenn ich vom Militär zurück bin. Auch nicht auf irgendeine Schule oder Akademie gehen. Im Übrigen kommt mir der Militärdienst nicht wie eine Schlacht vor, wir leben in Friedenszeiten, ich ziehe nicht in den Krieg, sondern in eine Kaserne, und ich sehe das eherals Chance denn als Strafe an, eine Gelegenheit, von zu Hause wegzukommen, mir den Wind außerhalb von Olba um die Nase wehen zu lassen, mit Menschen umzugehen, etwas zu lernen, denn ich werde dort den Führerschein machen, alle Führerscheine, für Busse, Lastwagen, und ich werde es schaffen, in die Werkstätten hineinzukommen, und wenn ich dann mit dem Dienst fertig bin, mache ich meine eigene Autowerkstatt auf, ich werde Mechaniker. Für mich wird das Militär eine Schule. Ich habe alles geplant. Was ich bis jetzt nicht gelernt habe, werde ich dort lernen.«
Mir wurde es trüb vor Augen. Ich musste mich zusammenreißen, um ihm nicht eine Ohrfeige zu verpassen. Ich hätte ihn anfallen oder heulen können.
»Du musst es wissen«, habe ich gesagt.
Dieser mein Sohn hat von seiner Mutter den mangelnden Mumm geerbt. Und die anderen? Ich glaube weniger an die Genetik als an die Zeiteinflüsse. Zumindest Esteban müsste mir ähnlich sein, wenn wir uns auch äußerlich sehr unterscheiden. Er ist temperamentvoller, dichter, hat eine andere physische Präsenz und ist kräftiger gebaut als Germán. Er ist der Kleine, aber auf den ersten Blick wirkt er älter als Germán. Ich weiß nicht, ob er Hirn hat, aber sein Körper hat genug Lagerraum, um Willen und Zorn zu speichern. Es irritiert mich allerdings, dass er den ganzen Tag mit dem Sohn der Marsals zusammensteckt, denen trau ich nicht über den Weg, ich traue mich nicht mal dem Jungen Sachen vom Krieg zu erzählen, nicht dass er sie am Ende vor seinem Freundchen erwähnt. Er sagt, dass sie Musik hören, dass es dort Schallplatten gibt. Ich hab ihm gesagt, er soll keinen Fuß mehr in das Haus setzen, aber ich weiß nicht, ob er auf mich hört. Ich werde eines Tages mit ihm reden müssen und ihm erzählen, was da gelaufen ist. Wer dieser Marsal ist, der Vater, so säuberlich, so wohlerzogen, als hätte er nie einen Teller zerschmissen. Was ich von Juanito halten soll, weiß ich nicht, er ist noch zu sehr Kind und das nicht nur wegen seines Alters. Aber wie gesagt, was sagt schon die Statur, was bedeuten schon die Gene. Denen allen hat man den Kopf, mit dem sie geboren wurden, ausgewechseltund einen nach Maß gefertigten angepasst. Oder ist gerade dabei. Ich lebe in meinem Haus, mit meiner Frau, meinen Kindern, und fühle mich wie ein Fremder. Ich schäme mich, es niederzuschreiben, aber es ist, als lebte ich von Feinden umringt in meinem eigenen Haus. Mir fehlen so
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