Am Ufer (German Edition)
als ein Wildschwein.«
»Das mit den Fischen ist immerhin weniger aggressiv.«
»Wie kannst du so was sagen: mit durchbohrtem Maul an einem Angelhaken hängen, dann der lange Todeskampf beim Ersticken im Korb – uff! Die armen unschuldigen Tierchen«, spottete ich.
»Die Fische sind Kaltblüter, für die man nicht so viel Empathie aufbringt, aber wenn du ein Säugetier in seinem Blut sterben siehst, dann meinst du, dass da ein Wesen stirbt, das dir gleicht und dessen Körper, wenn du ihn häutest, beunruhigende Ähnlichkeiten zu dem eines Menschen, zu deinem eigenen, zeigt.«
»Versuch doch mal, die Agonie eines Insekts durch die Lupe zu beobachten. Da wirst du entdecken, wie schrecklich das ist: diese Konvulsionen, wie es sich windet, wie es das Mäulchen aufreißt und schließt, die verzweifelte Hektik, mit der es die Beinchen bewegt. Ich versichere dir, das ist grauenhaft.« Damals hatten wir beide noch keinen Menschen sterben sehen, auch wenn ich einige Blicke auf die Agonie meiner Großmutter erhascht hatte.
Francisco sagte
menschlich
– ein menschliches Wesen – und ließ damit eine barmherzige Note anklingen, meinte vielleicht die Seele, die wir angeblich in unserem Inneren tragen,
menschlich
ist ein Wort mit einer hohen emotionalen Wirkung. Er verstand es, dem Wort seine Geltung zu verschaffen. Heute, wo wir mehr als einen Todeskampf begleitet haben, erscheint uns die Ähnlichkeit noch verstörender. Und ich sage
uns
, obwohl ich nicht aufgehört habe, auf die Jagd zu gehen, und Francisco das alles inzwischen nicht mehr abstößt. Mit dem Alter wächst das Wissen um das Unangenehme im Leben, und es schwindet – wahrscheinlich ein Mechanismus, der dieses Wissen erträglich macht – unsere Sensibilität. Die Kriege, die Massaker, sind meistens Angelegenheiten von gegerbten Kerlen, die Jungen aber handeln wie schlichte Bauern, die von arthritischen Fingern auf dem Spielbrett verschoben werden. Was sie im Krieg sehen, nimmt ihnen die Unschuld, verleiht ihnen die Fähigkeit, in die Fußstapfen ihrer Väter und Großväter zu treten. Kreisen, kreisen, nichts als kreisen, und das macht die Welt schon seit Jahrtausenden. Und so sind sie plötzlich alt, sind selbst zu den Fingern geworden, die Spielfiguren verschieben.
Gira il mondo, gira, nello spazio senza fine
, sang Jimmy Fontana in jenen Jahren. Ich habe meine Großmutter sterben sehen (heimlich, ich lugte durchdie halb offene Tür ins Zimmer, ein entstelltes Wesen, das immer weniger wurde und vor sich hin wimmerte. Ich war sechs oder sieben), ich habe meine Mutter sterben sehen, Onkel und Tante mütterlicherseits, meinen Onkel Ramón, meinen Bruder Germán, allesamt lagen sie wie wehrlose Hasen zitternd in ihren Betten, ich habe gesehen, wie sie nach Luft schnappten und zuckten, genau wie ich es bei den Hunden gesehen habe, die mir weggestorben sind, das dünn gewordene Fell, der gleiche stoßweise zischelnde Atem. Francisco hat Leonor monatelang sterben sehen, ein Tier, von der Krankheit ausgezehrt, ungeachtet der Bemühungen von Ärzten und Angehörigen; ihr Todeskampf muss ein Vermögen gekostet haben, die Flüge nach Houston, die Behandlung in Privatkliniken hier und dort. Zur Zeit beobachte ich die endlose Agonie meines Vaters, der zum jetzigen Zeitpunkt schon ohne große moralische Skrupel bei der Jagd erlegt werden könnte.
Aber wir waren Anfang zwanzig. Ich erwiderte:
»Mein Vater hat die Jagd gehasst, verständlich, nach allem, was er im Krieg erlebt hat, aber mein Onkel Ramón und mein Großvater haben gejagt, um etwas zu essen zu haben.« Meinen Großvater haben sie am Ende erlegt (Genickschuss), aber das war bei einer nutzlosen, grausamen Jagd, damals sprachen wir noch nicht von jenen Dingen, wussten nicht einmal davon, ich dachte, mein Großvater sei bei einem Unfall gestorben. Das ist die Ernährungskette, bei der man nicht nach Sinn und Bedeutung fragen muss, Grausamkeit vor der Schuld. Es ging ums Überleben. Nun, da die Not sich verflüchtigt hat, sind wir korrumpiert, raffiniert geworden, und nichts besitzt mehr diese Dringlichkeit oder Notwendigkeit, die schon die Absolution in sich trägt. Wir debattieren darüber, ob die Jagd, da sie nicht mehr lebensnotwendig ist, nun eine Lust ist, eine Liebhaberei, ein Vergnügen oder ein Laster – oder einfach ein in den Genen eingelagerter Todes- und Tötungstrieb, irgendeine Feder im System, die uns antreibt, uns auch weiterhin von jenen zu befreien, die nicht so sind wie wir
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