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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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sich biegt oder bricht, wenn sie herantrotten. Seit fast einem Jahrhundert sind in dem Schuppen im Hof Angelgerät und Jagdutensilien untergebracht: ein paar Gewehre, Ladestöcke, Gurte und Patronentaschen, Gummianzüge und Gummistiefel, Ruten, Netze und Reusen in unterschiedlichen Formen und für unterschiedliche Zwecke, die hier in der Gegend je nach Verwendung einen eigenen Namen bekommen: jedem Tier seinen Tod; jedem Gerät seinen Namen:
ralls, mornells, gamberas
und
tresmalls
. Es handelt sich um eine richtige kleine Sammlung, die man in einer der Jagdsendungen im Fernsehen zeigen könnte:
Pfeil und Angelschnur,Grenzrain und Uferlandschaft
, so oder ähnlich heißen die, es käme aber auch eins jener anderen Formate in Frage, die eher dagegenhalten, ausgestrahlt von den spießigen Sendern der Autonomiebehörde oder dem nicht minder spießigen staatlichen Canal 2, die heißen dann
Umwelt, Blauer Planet, Territorien
oder
Unsere Traditionen
und zeigen mit ehrfurchtsvoller Scheinheiligkeit jene Landschaften, die der Mensch angeblich noch nicht zerstört hat, und erinnern an alte bäuerliche Gebräuche; oder aber sie stellen irgendein ethnologisches Museum vor, das Geräte für den Ackerbau, fürs Dreschen, zum Beschneiden der Bäume, Mühlenräder, Ölpressen und alte Lastkarren sammelt, Fernsehberichte, die sich bemühen, das, was ich gekannt habe, als Paradies schlechthin vorzuführen oder zumindest in einen wunderbaren Naturpark zu verwandeln. Am Ausgang von Olba bordeten die Abflussgräben über die Rambla und übertrugen Infektionen in die nahen Häuser, die auf einem Gebiet gebaut waren, das die wolkenbruchartigen Herbstregen überschwemmten. Als Kinder spielten wir zwischen Müllhaufen, standen bis zu den Knien im Morast, wo es von Moskitos und Ratten wimmelte, zwischen Resten von Tierkadavern, alten Lumpen, eingetrockneten Exkrementen, schmutzigen Matratzen und blutverschmiertem Verbandszeug, an dem alles mögliche Getier knabberte. Wir suchten dort Reste von Comic-Heften, Bilder von Fußballern oder Filmschauspielern, lose Blätter von Illustrierten, Filmplakate, zugeschnittene Zelluloidstreifen, ausrangiertes Werkzeug, das uns als Spielzeug diente, fanden einen Kreisel, eine kaputte Puppe, ein beschädigtes Papppferd, einen löchrigen Ball, den wir wie einen Fahrradschlauch mit einem Gummipflaster reparierten oder sonst auch in schlappem Zustand kickten. Besonders schätzten wir die Fläschchen fürs Penizillin, das neue Medikament zur Bekämpfung der Tuberkulose und der Geschlechtskrankheiten, Fläschchen, die uns als Behälter für winzige Schätze dienten. Meine Mutter geriet immer außer sich, wenn sie bei mir, versteckt im Federmäppchen oder in der Schultasche, eines dieser Glasfläschchen mit von derSpritze durchstochenem Gummipfropfen entdeckte, in denen ich Insekten für meine Sammlung aufbewahrte. Sie war davon überzeugt, dass diese Fläschchen jene Krankheit, die sie angeblich heilen sollten, erst ins Haus brachten. Wer weiß, wer das angefasst hat, Schwindsüchtige, ansteckende Leute, schmeiß das sofort weg. Ich musste mich von den Fläschchen trennen, trotz meines Protestes und obwohl ich erklärte, wie nützlich sie mir seien und wie sorgfältig ich sie gereinigt hätte (was nicht immer stimmte), und ich weinte, wenn die Mutter sie mit einer brüsken Handbewegung über die Stallmauer warf und verschwinden ließ. In den Fluss und in die Wasserlöcher im Sumpf wurden alte Möbel und unbrauchbare Gegenstände geworfen, ebenso der Dreck, der nach der Säuberung des Stalls anfiel, auch die toten Tiere, in der Hoffnung, dass der Schlamm sie schluckte, sie von der nächsten Flut weggeschwemmt oder von den Fischen und sonstigem Getier skelettiert würden. In meiner Liebhaberei, die man heute als ethnologisch bezeichnen würde, habe ich die Gerätesammlung des Onkels bewahrt und erweitert. Francisco, der uns oft bei unseren Streifzügen durchs Sumpfgelände begleitet hat, wollte nie einen Schuss abgeben, packte aber durchaus zu, wenn es darum ging, die Netze auszulegen und die Angelrute zu halten, wurde sehr aufgeregt, wenn er an der Angelschnur das Zerren eines Fisches spürte; Waffen und Jagdutensilien hingegen betrachtete er als Teil eines Museums der Folter. Zu mir sagte er:
    »Ich verstehe einfach nicht, wie ihr auf ein harmloses Tier schießen könnt.«
    »Das ist genauso grausam, wie das Netz auszulegen oder die Angelrute zu werfen. Für mich ist ein Fisch wehrloser und verdient mehr Mitleid

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