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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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Arbeitslosengeld und der Sozialhilfe zu erzählen, in Olba ist bekannt, dass ich Esteban darum gebeten habe, mich schwarz zu beschäftigen, weil ich Arbeitslosengeld bekam und das nicht verlieren wollte, weil ich mit dem Lohn, den man mir in der Schreinerei bot, nicht die Raten für die Wohnung und das Auto hätte zahlen können, und dann lief das Arbeitslosengeld aus, und jetzt habe ich nur noch Sozialhilfe, und wie soll ich mit den vierhundertfünfundzwanzig Euro und den sechshundert, die meine Frau heimbringt, die Raten für die Wohnung und die Bücher und die Kleidung für die Kinder zahlen, und das Licht und das Wasser und das Gas und das Benzin, nur gut, dass ich endlich das Auto abbezahlt hatte, sonst hätten sie es mir bereits gepfändet, und wenn ich sage, dass ich die letzten Monate in einer Schreinerwerkstatt gearbeitet habe, wenn ich mich auf den Weg mache, Arbeit zu suchen, dann habe ich nicht einmal ein Papier, mit dem ich das nachweisen kann, ist aber auch nicht nötig, denn sie wissen Bescheid, alle, die mit mir reden, wissen es, denn hier in Olba kennen wir uns alle, wie gesagt, ein Dorf, aber sie denken, es geschieht mir recht, weil ich schwarz gearbeitet habe, bedenken dabeinicht, dass ich mit dem, was Esteban mir in der Schreinerei zahlte, meine Wohnung nicht abzahlen konnte, aber die Leute sind neidisch, damals sagten sie, du kassierst ja doppelten Lohn, als würde ich davon Millionär, es freut sie, wenn sie dich am Boden sehen, und es stört sie, wenn du versuchst, den Kopf zu heben, dann trampeln sie auf dir rum, damit du wieder untergehst, sie schubsen dich, damit du wieder in das Schlammloch fällst, aus dem du dich gerade herauszuarbeiten schienst.
    Wenn ich aus der Werkstatt komme, bei der ich mich beworben habe, frage ich mich, wie die Leute so grausam sein können, so unhöflich. Da muss man schon sehr skrupellos sein, um einem verheirateten Mann mit drei Kindern so etwas zu sagen, dabei kennt man ihn ja nicht wirklich. All deine Mankos sagen sie dir ins Gesicht. Wie soll ein Mann, ein Arbeiter, da sein Selbstgefühl wieder aufbauen. Was sind das für Typen, die dich überhaupt nicht kennen, dich aber als unbrauchbar einstufen, mit dir spielen, eine verängstigte Maus in den Krallen fetter Katzen. Sie schauen dir nach, wenn du aus der Werkstatt gehst, die Zigarette im Mund, die Hände in den Taschen, den Mund in einem halben Lächeln verzogen. Sie suchen nicht, kriechen nicht, müssen sich nichts pumpen. Es sind diejenigen, die den Sack mit dem Brot der anderen haben, und jene die den Brotsack haben, waren schon immer grausam. Darin liegt ihr Stolz. Auf dem Wissen, dass die Mägen der anderen leer oder voll sein können, ganz nach ihrem Willen, bauen sie ihre Macht auf, daher kommt ihr halbes Lächeln, die Zigarette zwischen die Lippen geklemmt.
    Für den Onkel war es ein großes Geschenk meines Großvaters, wenn er auf dessen Schoß sitzen und die Briefmarken mit Spucke auf den Brief kleben durfte, in dem jener bei einem Zulieferer etwas für die Werkstatt bestellte. Der Großvater ließ ihn die Marke aufkleben und nahm ihn an der Hand mit zu der Postfiliale, er hob ihn hoch, damit er an das offene Löwenmaul reichte, das als Briefkasten diente, und den Brief hineinwerfen konnte. Das war ein erbliches Vergnügen, denn der Onkel machte mir nachmittags oft eben diesesGeschenk. Wenn ich aus dem Kindergarten kam, setzte er mich auf seinen Schoß und vor drei oder vier Briefumschläge und den schrumpfenden Bogen der Briefmarken, die ich an der perforierten Kante ablöste, vorsichtig, damit sie nicht einrissen. Ich trennte eine Marke ab, zog sie über die feuchte Zunge, klebte sie sorgsam auf die rechte obere Ecke des Umschlags und schlug mehrmals mit der Faust darauf. An den süßlichen Geschmack des Klebstoffs und die Schwermut, wenn ich mich von diesen bunten Papierchen trennen musste, weil sie in den Briefkasten wanderten, erinnere ich mich an diesem leuchtenden Morgen genau. Warum legst du nicht eine Sammlung von denen an, die mit der Post zu uns kommen?, schlug er mir vor, aber es kamen zu wenige Briefe in die Schreinerei, als dass ich davon eine Sammlung hätte anlegen können, und bei den wenigen, die von Zulieferern oder der Sparkasse kamen, waren die Marken von der Stempeltinte verschmiert.
    »Diese gestempelten Briefmarken, auf denen das Datum und der Ort der Einlieferung stehen, werden aber von vielen Sammlern besonders geschätzt«, betonte er.
    Mein Onkel Ramón ließ mich die

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