Am Ufer (German Edition)
alles davon war der Repression geschuldet. Da war auch ein Teil Geschäft dabei. Mit dem Vorwand, jene Unglückseligen zu fangen, wurde die Trockenlegung der Lagunen vorangetrieben, die Verlandung gefördert, sodann verschenkte man sumpfiges Land an Kameraden und Exkombattanten mit der Erlaubnis, es zu entwässern und zu bebauen. Man verließ sich auf die Habgier, um Freiwillige für die Razzien zu mobilisieren. Fincas wie Dalmau und La Citrícola gingen aus dieser Verteilung hervor. Die Exportfirma Dalmau entstand nach Rodungen auf dem sumpfigen Grund,den man General Santomé zugesprochen hatte, dieser war nicht viel mehr als ein einfacher Soldat, befördert wegen seiner Verdienste im Krieg (und, wie ich nach und nach erfuhr, verantwortlich für wahllose Erschießungen in der Nachhut, für Genickschüsse wie jenen, der meinen Großvater traf, für das Abfackeln von Gehöften mitsamt ihrer Bewohner: kleine Bauern, die beschuldigt wurden, den Flüchtlingen Nahrung, Kleider, Decken gegeben oder einfach mit ihnen eine Zigarette geraucht und geredet zu haben), und La Citrícola erhebt sich auf einer einstigen Lagune, die sie zur Trockenlegung Pallarés überlassen hatten, ein Blauhemd, das – Pistole im Halfter – das ganze Gebiet schikanierte, bis weit in die Sechzigerjahre hinein, als die Finca dann von den Erben übernommen wurde, die, ein Zeichen der Zeit, sich weit diskreter benahmen, wenngleich sie sich nicht weniger habgierig bei ihren Geschäften zeigten, die längst von ideologischen Spinnweben befreit waren: Geld im Reinzustand, ohne die Verpackung von Aufrufen, patriotischen Sermonen oder Waffengeklirr. Die programmierten Angriffe auf den Sumpf waren eine Mischung aus militärischer Strategie, politischer Rache und ökonomischen Beutezügen. Das perfekte Unwetter, wie heute die Spießer sagen, wenn sie ausdrücken wollen, dass die Bedingungen für irgendeine Katastrophe nicht besser sein könnten. Wenn die Guardias einen der Flüchtlinge fingen, stellten sie seine Leiche aus, fuhren sie auf der Ladefläche irgendeines Kleinlasters durch die Straßen des Dorfs. Die Anwohner stellten sich stolz hinter die verwesenden Körper und ließen sich fotografieren. Irgendjemand muss diese Fotos noch haben, sie gleichen jenen, die Jäger nach einer Treibjagd auf Wildschweine machen lassen. Das erlegte Wild zeigte schwarze Flecke auf den Backenknochen, der Stirn, auf dem Hemd, zwischen den Hosenbeinen. Das waren die Nachtmahre, die meinen Vater verfolgten. Die Treiber jener Jagdpartien hat er jahrelang im Visier gehabt, wobei er sich auf Informationen stützte, die ihm seine Frau, die Kinder und vielleicht noch ein geheimer Informant beibrachte. Unsere Worte ernährten ihn. Inzwischenweiß ich, dass Worte nähren. Auch ich hab es gelernt: Ich kann Ihnen einen guten Sancocho mit Huhn zubereiten, in dem Laden bei dem Internetcafé kann man alle Zutaten kaufen, sie verkaufen auch Yucca und Yamswurzel, all das, was man früher in euren Geschäften nicht bekam, jetzt aber, seitdem es diesen Telefon- und Lebensmittelladen an der Ecke gibt, kommt man sich vor wie in Manizales, Medellín oder Popayán: man kann jetzt ein ordent liches Gericht mit Gemüsebananen zubereiten, Arakachas, die Pipián-Teigtaschen – ich koch Ihnen das hier, sobald Sie wollen. Sagen Sie bloß nicht, dass Ihnen diese Küche, die Sie nie probiert haben, nicht schmeckt. Probieren geht über studieren. Und vielleicht schmeckt es ja auch Ihrem Vater, Ihr Papa muss ein sehr sanfter Mensch gewesen sein, er erinnert mich sehr an meinen Opa.
Er wurde wütend, wenn er hörte, dass es meinem Onkel in Misent gut erging. An Arbeit mangelt es nicht, die Touristen kaufen Apartments, Chalets, Türen werden gebraucht, Fensterrahmen, Fensterläden, erzählte mein Onkel, während er sich einen Schuss Cognac in den Kaffee goss, und mein Vater sagte, hier ist soweit alles beim Alten geblieben: in Olba sind wir Süßwassermenschen. Und Süßwasser zieht nur die Moskitos an. Er spottete: Du fischst jetzt wohl in Salzwasser. Ich weiß ja, du hast dein Angelgerät für den Marjal dem da überlassen (er sagte nicht, meinem Sohn oder Esteban, nicht einmal, dem Jungen: dem da). Wenn du uns mal wieder besuchen solltest, bring uns doch einen Zackenbarsch, einen Streifen gesalzenen Thunfisch oder ein paar Streifenbarben mit. Wenn er von Salzwassermenschen sprach, meinte er nicht die Fischer im Hafen von Misent, die immer eine arme Randgruppe geblieben sind (hast du das vergessen,
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