Am Ufer (German Edition)
Briefmarken aufkleben, er schenkte mir einen hölzernen Rollwagen und einen lebenden Vogel, dem als Leine eine Schnur ans Bein gebunden war, er nahm mich mit zum Jahrmarkt und schoss für mich an einer Bude einen Spielzeuglaster aus Blech. Hebe ich den Blick, sehe ich hinter den angespitzten Blättern des Röhrichts die kahlen Berge: bläuliche Steinhaufen, auf denen gerade mal ein kleiner Pinienwald wächst; in niedrigeren Lagen ist die Terrassierung mit Olivenbäumen besprenkelt, hie und da der Fleck eines Johannisbeerbaums. Dieselbe Landschaft, die ich mit ihm betrachtet habe. An diesem kalten Morgen spüre ich auf der Zunge den süßlichen Geschmack des Klebgummis.
Es war, als er aus dem Krieg kam, da hatte sich mein Vater überlegt, im Sumpfgelände versteckt abzuwarten, bis die schlimme Zeit vorbeiwar, aber meine Mutter überredete ihn, ins Rathaus zu gehen und sich zu stellen.
Seit den Tagen, in denen meine Mutter ihn darum bat, sich zu stellen, die Großmutter hingegen verlangte, er solle abhauen, sich verstecken, wo niemand ihn fände, betrachtete diese meine Mutter mit Argwohn. Ein dunkles Gefühl machte sich in ihr breit: Aus dem egoistischen Wunsch heraus, ihn bei sich zu haben, zögere meine Mutter nicht, sein Leben zu gefährden. Während er im Gefängnis saß, entwickelte sie die fixe Idee, dass die Schwiegertochter, nachdem die revolutionären Emotionen erstickt waren, den Fehltritt bereue, die republikanische Hochzeit vor den Genossen, den Sohn, der bereits anfing durchs Haus zu trappeln – Germán, mein großer Bruder –, und jenen, der ihr in die milcharmen, mangelernährten Brüste biss, ich, ein Kind, das ihr Mann nicht einmal kannte, weil die Schwiegertochter es monatelang nicht zu den Besuchen im Gefängnis mitnahm und vorbrachte, es sei für so eine schwere und unsichere Reise zu klein und zu zart. Ich möchte den Kleinen all dem nicht aussetzen, weiß der Himmel, was uns im Zug zustoßen könnte oder an der Gefängnispforte. Die beiden Frauen nahmen den Ältesten mit, aber nicht immer. Oft blieb der auch bei ihren Eltern. Meine Großmutter glaubte, dass sie gerne den Ehemann gegen einen anderen ausgetauscht hätte, der vielleicht besser gerüstet war, sich den anbrechenden Zeiten zu stellen. Schließlich und endlich waren diese standesamtlichen Ehen jetzt wertlos, null und nichtig. In der Beziehung der beiden Frauen lag etwas Undurchsichtiges, das mir nie jemand erklärt hat. Die Großmutter war argwöhnisch, und sie konnte meine Mutter nicht wirklich lieb gewinnen, ein linkisches Mädchen, einfallslos, das ihre ganze Energie ins Putzen, Waschen und Kochen steckte, dabei immer muffig und weinerlich, weil mein Vater weg war und sie der herrischen Schwiegermutter ausgeliefert. Die Großmutter verlangte von dieser kleinen Frau eine andere Stärke. Der Streit zwischen den beiden Frauen über das, was mein Vater machen sollte, hatte sie entzweit. Solange die Großmutterlebte, war die in jenen Tagen entstandene Distanz nicht überwunden worden. Dein Vater hat sich gestellt, um ihrem Streit nicht länger zuhören zu müssen, scherzte mein Onkel, als er mir Jahre später davon erzählte.
Er stellte sich und verbrachte fast drei Jahre im Gefängnis, das Urteil lautete Todesstrafe, die aber dann in eine Haftstrafe umgewandelt wurde. Er hatte seine Haut gerettet, aber er fühlte sich als Deserteur eines Heeres, das nur in seinem Kopf existierte, die gespensterhafte Armee derjenigen, die das getan hatten, was er hätte tun wollen: Kämpfer, die sich nicht ergeben hatten, die es über die Grenze geschafft hatten oder sich in die Berge absetzten, um sich dem Maquis anzuschließen, oder die im Sumpfgelände blieben und ein paar Jahre lang vom Jagen und Fischen lebten. Das hatten einige aus dem Dorf gemacht, harmlose Robinsone, denen es im Übrigen nicht gut ergangen war bei dem erzwungenen Leben in Pfahlbauten: Sie holten sich die Malaria, die Wunden infizierten sich, jeder Kratzer führte in dieser Umgebung zu Tetanus, was sie zu schrecklichen Todeskämpfen verurteilte, sie litten unter den ausufernden Treibjagden der Guardia Civil, die sie wie die Kammerjäger verfolgten und dafür sogar die Vegetation in Brand setzten. Bis nach Olba drang der Lärm der berstenden Rohre im Feuer und ein klebriger Rauch, der die Tiere im Sumpf erstickte. Es wurde Benzin gesprüht, damit sich das Feuer über die Röhrichtfelder ausdehnte und auch das Buschwerk, das oft zu schwimmenden Inseln gehörte, verbrannte. Nicht
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