Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
Vom Netzwerk:
gründlich die winzige Schrift auf dem Schildchen studieren, so klein, dass der Kunde möglichst über die Herkunft hinwegsieht, Schildchen, auf denen aber auch in bestens lesbaren Ziffern der Preis steht: 6,50 8,50 9,25 14,35, Nordatlantik Südatlantik Pazifik Arktisches Meer Chile Indonesien Peru Ekuador Indien; Ausladehafen: Marín Vigo Burela Mazarrón . Du lieber Himmel, was haben diese Seehechtschwänze für Wege hinter sich gebracht, und die steifen kleinen Seeteufel, die hindustanischen Garnelen? Für uns, Vater, wähle ich den Fisch, der vermutlich der frischeste ist, weil er in nahen Gewässern gefangen und an einem unserer Häfen angelandet wurde, obgleich die hiesigen Fischer – wobei sie, glaube ich, die andalusischenmit ihrem Märchen von den kleinen Bratfischchen und den Seezungen aus dem Golf von Cádiz nachmachen – seit einiger Zeit ihre Fänge spezifizieren: aus der Bucht von Misent, von Calpe, Peñíscola oder Alicante; und diese Fische, die angeblich hier gefangen wurden, werden mit extra großen Schildern ausgezeichnet – ROTBARBEN AUS DER BUCHT VON MISENT, KRABBEN AUS DER BUCHT VON DENIA, ZACKENBARSCH AUS DER BUCHT VON ALICANTE –, und schon kosten sie sehr viel mehr, also gibt es plötzlich nur noch Buchten, in denen Wildfische grasen, weshalb du und ich mehr dafür zahlen sollen. Kauft Fisch, der garantiert aus unseren Gewässern kommt. So heißt es in der offiziellen Fernsehwerbung, als hätte der Fisch seine Gesundheitskarte, wie wir Zweibeiner sie bei uns tragen müssen, und zahlte seine Steuern beim Finanzamt der Autonomiebehörde. Klippenfische,
mavra, loro, negrito, roig, furó
und wie sie alle heißen. Und das Öl zum Frittieren, köstlich, sollte aus der Sierra de Mariola kommen, oder nein, besser aus der Sierra de Espadán, wie die Karaffe, die ich noch zu Hause stehen habe – die letzte. Also los. Das ist deine Arbeit: Iss. Schluck deine Tabletten – ich habe meinen Chemiecocktail schon beim Frühstück zu mir genommen; für dich sechs am Morgen, davor das mirakulöse Omeprazol (ein so billiges und effektives Medikament könnte von den Sowjets, so wie du, Vater, sie dir erträumtest, erfunden worden sein), vier mittags und vier (oder fünf?) am Abend, setz dich aufs Klosett und gib dir ein bisschen Mühe, das kann ich nicht für dich machen, drücken, aber schön mit der Ruhe, wir haben alle Zeit der Welt, nicht nervös werden, bleib ruhig, aber drück weiter, ja?, entspannt, aber drücken, nicht dass ich dir ausgerechnet am letzten Abend einen Einlauf machen muss. Und wenn du die Arbeit hinter dir hast, die Aufgabe erledigt ist, dann guck Fernsehen und mach keinen Ärger. Nicht gerade heute. Obwohl, zum Essen muss ich dich nicht ermuntern, der Appetit ist geblieben. Du hast ihn in all den Monaten nicht verloren. Das ist eine deiner Widersprüchlichkeiten: wenig Lust zu leben, aber große Lust zu essen.Wie willst du mir das erklären? Du wirst wiederkäuend sterben, lässt dabei die falschen Zähne knarren, mahlen. Ein kleiner Schuss rohes Öl auf die Kartoffeln und die grünen Bohnen, ich weiß, das schmeckt dir, hat dir dein ganzes Leben geschmeckt. In diesen goldenen Tropfen ist die Sonne des Mittelmeers konzentriert, die Gesundheit, das Leben. Seit einigen Jahren leben wir alle in der Überzeugung, dass jeder Tropfen Öl vor Gesundheit birst, Lebenshoffnung in sich trägt, es ist der Balsam, mit dem sich die griechischen Athleten und die römischen Patrizier einsalbten, mit dem die Kirche ihre Moribunden salbt, die Frucht jenes heiligen Baumes – wie junge Ölbäume sind deine Kinder rings um deinen Tisch, o Herr, singen die Katholiken bei der Messe. Sie sagen es im Radio, im Fernsehen. Die gefährlichen Fette sind andere: Margarine, tierische Fette, Butter, Vollmilch; und das Öl von Sonnenblumen, Erdnüssen, Palmen, Mais oder Soja, jene Öle, die heutzutage diese armen Schwarzen zu sich nehmen, die sich, wie wir im Fernsehen sehen, mit Riesenärschen, wabblig wie Sahnepudding, durch die Straßen von New York schleppen; traurige schwarze Vollweiber, Nilpferde auf zwei Beinen, deren Schenkel sich beim Gehen aneinander wund reiben; elefantenartige weiße Loser, übel riechende Alkoholiker mit blauroten Nasen und einem Netz von violetten Adern im Gesicht, Typen, die drauf und dran sind, Arbeit und Heim zu verlieren oder sie schon verloren haben und zum Heer der Aufgegebenen gehören, Leiber, die im Bus nicht Platz nehmen können, weil ihr Gesäß nicht in den Sitz und der

Weitere Kostenlose Bücher