Am Ufer (German Edition)
neben welchen anderen Waren hat man sie aufeinandergehäuft? Ananas mit Kokainfüllung, Holz aus den Tropen, vielleicht Edelhölzer, die das Aroma ihrer Harze beigesteuert haben, weshalb die Macadamianüsse einen Hauch von Zeder verströmen, ein erfahrener Weinprüfer wie Francisco würde auf das Harz der Ellioti-Kiefer tippen. Und einmal hier in Spanien angelangt, neben welchen anderen Frachtgütern wurden sie aufbewahrt? Welche anderen Aromen haben sie auf ihrer langen Reise aufgesogen? Kerosin? Acrylfarbe? Kautschuk? Rattenurin? Gummi, Lacke, Rattenexkremente und Dieselöle: die Gerüche unserer zeitgenössischen traurigen Tropen. Der Angestellte der Verpackungsfirma, die ihre Türen an einem Nicht-Ort, der vormals ein Gemüsegarten war, öffnet und schließt, ist umgeben von Säcken aus anderen Nicht-Orten an allen vier Winkeln der Welt und steckt in die Tüte ein kleines Häufchenvon jedem Sack, ein wenig Sonnenblumenkerne, ein wenig ge röstete Kichererbsen, Nüsse, Pistazien, Makadamias, ein paar Rosinen noch, und nach beendeter Auslese stempelt und vakuumiert er die Tüte, vereint alles zu einer heterogenen, weltläufigen und multikulturellen Familie, die innerhalb des Plastiks glücklich zusammenlebt. Auf der Außenverpackung wird jedes Produkt wieder individualisiert unter der Überschrift Zutaten, gedruckt im Fliegenschiss-Format, das mich zwingt, erneut die Brille aufzusetzen. Die Größe der Schrift kann mich nicht abschrecken, denn ich schaue gerne nach, woher die Sachen stammen, die ich mir aus dem Regal (das sie Gondel nennen) hole und in den Einkaufswagen lege, vom Einkaufswagen ins Auto und vom Auto in den Kühlschrank und dann in meinen Mund. Ich will das kennen, was ich esse, was in mir wohnen und meine Intimität teilen wird. Die Empfindung von Ferne, Fremde bei den Produkten weckt, ob du es willst oder nicht, Misstrauen: Das ist normal (soll ich das in meinen Körper stecken?), weiß der Teufel, was es in den Ursprungsländern für eine hygienische Kontrolle gibt oder nicht gibt, andererseits finde ich es auch aufregend, zu wissen, dass meine Zähne die Frucht einer Pflanze zermalmen, die jemand an einem Ort angebaut, gedüngt und abgeerntet hat, den ich niemals betreten werde. Während ich den Geschmack genieße, stell ich mir die Gesichter der Erntehelfer vor: Mandel- oder Schlitzaugen, olivfarbene, gebräunte Haut, die aufmerksamen Augen der Frauen, wenn sie die Frucht entkernen, sie gehören mir in diesem Moment exklusiv: Ich habe die Aufmerksamkeit ihrer Augen gekauft, die Bewegung ihrer Hände, den Schweißtropfen, der zwischen ihren Brüsten hinunterrollt, während sie in dem Schuppen mit dem Zinkdach arbeiten. Mit jeder Frucht, jedem Kern, jeder Beere gehören mir ihre Wohnungen: Häuschen aus Rohrgeflecht mit Wellblechdächern, Bambushütten; der Geruch nach Pipiángerichten (die Gerichte, die Liliana in ihrer 55-Quadratmeter-Wohnung zubereitet, die sie kocht, isst, und die ihre Kinder und ihr Mann essen), nach Kokosnuss, Galgantwurzel, die Wälderoder Urwälder, die jene Orte umgeben, in denen die Sammler meiner Vorspeise wohnen. Das – Augen, Haut, Landschaften, eine ungeheure Vegetation – ist es, was ich esse, was meinen Gaumen erfreut und mich nährt. Neulich fiel mir auf, dass in den Gondeln der Obstabteilung vom Mas y Mas, obwohl damals September war, also der Glanzmonat der zuckersüßen und duftenden Muskatellertrauben der Region, weiße Trauben aus Argentinien lagen (aber ist in unserem September nicht Frühling in Argentinien? Gibt es Frühlings-Weintrauben?). Keine Ahnung, was das für eine Sorte war, dicke, goldgelb glänzende Beeren, fade im Geschmack; und das Bund grünen Spargels trägt fast immer die Bauchbinde aus Papier, die ihren peruanischen Ursprung beglaubigt; an Peru denkst du eigentlich nie, ein Land, über das in der Bar gewöhnlich nicht geredet wird, an das kein Schwein denkt, aber dann liest du den Aufdruck auf der Bauchbinde, und schon stößt du darauf. Dort steht geschrieben, Ursprungsland: Peru. Du fragst dich, ob man den grünen Spargel einst von Europa nach Peru gebracht hat oder ob er dort seit jeher angebaut und von den Inkas auf ihren Festmahlen verspeist wurde, die sie zwischen diesen riesigen Steinbrocken, bekannt aus den Fernsehreportagen über Cuzco und Machu Picchu, abhielten? Was ist zuerst da, das Huhn oder das Ei? Und auf der Theke liegt dieser ganz frische Fisch, der hier zu haben ist: Bevor du ihn kaufst, bei der Auswahl, musst du
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