Am Ufer (German Edition)
sind. Ist doch ganz einfach. Sie geht davon aus, dass ich in allen familiären Angelegenheiten der Begünstigte gewesen bin, ich hatte ein Haus zur Verfügung, ich hatte meine Arbeit geerbt, und, das vor allem, ich hatte höchstwahrscheinlich Bankvollmachten. Auch dar um hat sie, die Großherzige, sich Sorgen gemacht, sie sagte: Wenn es Papa so schlecht geht, wird man etwas organisieren müssen, damit man später keine Probleme mit den Banken hat, nicht dass sie am Ende die Sparguthaben einfrieren, wir müssen es so hinkriegen, dass wir Geschwister gleichermaßen Zugang zu den Konten haben. Ich lachte: Willst du, dass Juan zeichnungsberechtigt ist? Nein, das nicht, auf keinen Fall, er würde die Konten in einer Woche leer räumen, sagte sie hastig. Nein, nicht wir sollten uns die Tasche füllen, die Konten sollten gut gefüllt sein mit grünen, gelben und violetten Scheinen. Und dann sollten wir halbe-halbe machen, wenn es dar um ging, diese Menge an Papier abzuheben – die Konten leer zu räumen, wie Carmen es ausdrückte. Da sind aber noch die Kinder und wahrscheinlich auch Enkel von Germán, seine Witwe. Auch sie müssten Zugang zu den Konten haben. Wir können nicht beide allein darüber disponieren. Das wäre unangemessen, sogar illegal.
Sie geht vor allem davon aus, dass Vater sein Geld verbraucht, das, was er hat, was er übrighat, und dass ich mit von diesem Kapitalzehre. Und da verstehe ich Carmens Ärger, ihr Missfallen, ihre Vorsorge. Der Nachtisch ist nicht lecker, das Ende vom Lebensbankett ist nicht eben süß, aber von Liebe soll hier keiner sprechen. Verstehst du, Liliana? Niemand erfreut es, im Flur einem Zombie zu begegnen, einem, der mit starrem Blick den Fernseher anglotzt oder der, wenn du ihn ins Bett legst, weiter mit offenem Mund die Decke anstarrt, ein echter Zombie wie aus einem Horrorfilm, der mit dem falschen Gebiss klappert, wie die Totenschädel in der Geisterbahn, und es mit der Zunge vorschiebt, damit man die in rosa Plastik eingelassenen Ersatzzähne sieht, ein Zombie, der gierig isst und (das ist das Unangenehmste: Tamagochi-Zombie) auch noch mehrmals am Tag Stuhlgang hat (wenn nicht Durchfall dazukommt). Sie wird wie Juan, wie die Witwe und die Kinder von Germán an jenem Tag auftauchen, an dem er als Leiche endlich stillhält und es darum geht, den Schatz, der unter dem Totenschädel liegt, zu verteilen. Dann werden sie kommen, um die Konten zu überprüfen, werden die Besitzurkunden für die Werkstatt und das Wohnhaus einsehen wollen, auch die des bebaubaren Gemüsegartens und des Grundstücks von Montdor, dort hätte ich mir gerne ein Häuschen gebaut, um mich mit Hund Tomás zurückzuziehen: Nur wir beide spazieren über die Felder, er trottet mir voraus, bleibt aber alle paar Augenblicke stehen, um auf mich zu warten, genau wie bei unseren Ausflügen in den Sumpf: So werden wir beide älter. Er ist vier Jahre alt, er hätte bis zum Schluss an meiner Seite sein können. Er hat noch zehn, zwölf Jahre zu leben, das heißt, er hatte; jetzt bleiben ihm so viel wie uns beiden. Und ein bisschen Gemüse anbauen, die Obstbäume pflegen, in einem Weidenkorb die Mispeln einsammeln, die Pfirsiche, Pflaumen, die Äpfel und Quitten, mit vielfarbigen Früchten die Tischmitte schmücken, mit jenen Früchten, die wir laut Liliana hier nicht haben, sie in eine Schüssel legen, eine Obstschale auf der Wachstuchdecke, und wenn du die Tür öffnest, schlägt dir der Duft der reifen Früchte entgegen. Sie werden kommen, werden vor dem Notar vom Pflichtteil sprechenund ein Flugticket für die Heimkehr buchen, überzeugt davon, sich das jetzt leisten zu können mit dem, was sie bei der Rauferei herausholen (daher fürchtet und argwöhnt die haushälterische Carmen leer geräum te Konten, verkaufte Immobilien), sie werden in einem guten Restaurant in Misent speisen und in einem Hotel mit Meerblick übernachten. Ich stell mir Juan mit einer seiner russischen Puppen vor, wie er mit einem guten Ribera del Duero anstößt und mit französischem Champagner, er sagt, einmal ist keinmal, lass uns die Suite nehmen; sein Eifer, sich die Quelle des Reichtums durch die Finger rinnen zu lassen, noch bevor die Hände nass geworden sind, und damit seinem großen Lebensprojekt, seit er denken kann, treu zu bleiben: mit vollen Händen das zu verschleudern, was andere zusammengetragen haben. Zwei oder drei Nächte Hotel (seit Mama nicht mehr ist, deprimiert mich das Haus des Alten: Das ist die barmherzige Ausrede
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