Am Ufer (German Edition)
dir und desto emsiger strickst du an deinem Untergang. Ich weiß nicht, ob er es darauf angelegt hatte, Bürgermeister oder Abgeordneter zu werden. Da war kein Stadtrat, den er nicht in der Tasche hatte, dem er keine Gefälligkeiten erwiesen hat, nicht zum Essen eingeladen und mit Champagnerkistchen beschenkt hätte oder mit Kleingeld von irgendeinem Geschäft geschmiert, in den Puff mitgenommen oder aber eine Kreuzfahrt bezahlt hätte. All das ist nützlich von einem Tag zum anderen, am Ende jedoch löst es sich in Luft auf, der Stadtrat wechselt, oder ein neuer Kumpan mit mehr Möglichkeiten taucht auf, und dann sind Zeit und Geld verloren, und du fragst dich, wofür das Ganze. Brot für heute undHunger für morgen«, schließt Bernal, der immer auf den anderen eifersüchtig gewesen ist.
Justino winkt ab, obwohl Francisco und Bernal fast das Gleiche wie er gesagt haben. Er versucht, seine Position zu differenzieren, indem er die Nuancen in den Vordergrund rückt. Stolz auf seinen eigenen Stolz, will er nicht immer Francisco recht geben, er muss zeigen, dass er ein eigenes Urteil hat, da muss doch keiner aus Madrid kommen, um uns zu erklären, wie die Dinge hier laufen:
»Hätte er Politiker werden wollen, hätte er sich zur Wahl gestellt. Aber man hat mehr Macht und mehr zu bestimmen, wenn man hinter der Bühne agiert, frei, ohne von irgendeiner Partei kontrolliert zu werden, nicht im Fokus von Journalisten und Politikern, von deren Kämpfen und Missgunst, und die Fäden der Marionetten im Schatten führt« – der Sklavenhalter ist vernünftig geworden, der Arbeiterhändler oder der Mehrwertabschöpfer der Arbeitskraft, wie ihn in seiner Jugend Francisco definiert hätte, sein Partner beim Kartenspiel heute Abend in der Bar eines Städtchens, wo man, zumindest bei Tage, höchstens um eine Runde Kaffee, Wein oder Anislikör spielt. Nachts, bei geschlossenen Türen, wird die Sache etwas ernster, da tauchen auf dem Tisch Hunderteuroscheine auf oder ein Gutschein für ein paar Drinks und eine Nummer im Lovers oder Ladies, die den Betrag für die Runden am Tresen ums Hundert- oder Tausendhafte übersteigen. Aber zu diesen Stunden ist Francisco schon nicht mehr in der Bar. Aschenbrödel ist heimgekehrt, bevor die Kutsche zum Kürbis geworden ist, und er hat auch kein Schühchen auf dem Weg verloren, er verkriecht sich früh in seinen Bau zum Lesen und Schreiben, das erzählt er mir zumindest:
»Die Nacht – kein Lärm, kein Anruf, keiner der auf die Haustürklingel drückt. Das ist die beste Zeit des Tages«, sagt er, als ob seine Nacht nicht ebenso von Gespenstern bevölkert wäre wie die jedes Menschen, der die siebzig erreicht hat. Der Muskel schläft, der Ehrgeiz wacht. Francisco, an seinem Schreibtisch aus Palisanderholz sitzend, füllt die Seiten oder tippt in den Rechner, schreibt den Romanoder die Memoiren, die ihm das Ansehen verschaffen sollen, das er in der Hektik der vergangenen Jahre nicht hat erreichen können. Weinverkostungen, Buchbesprechungen, Restaurantkritiken, alle zwei Wochen das brillant geschriebene Editorial, der sechsseitige Artikel über irgendein Weingebiet, mindere Arbeiten, die nicht die Tür zu jenem Nachruhm öffnen, den die Ehrgeizigsten für sich beanspruchen, ein Leben nach dem Leben, auch um den Preis, sich Nerven und Gesundheit in schweren Nachtschichten am Schreibtisch zu ruinieren, und dann die Wutanfälle, weil die Genialität, die man anstrebt, sich nicht einstellen will auf Fertig, los! Mit siebzig erscheinen spät in der Nacht nicht die genialen Ideen, sondern die Leichen aus dem Keller. Denn welche ist schon ordentlich verscharrt? Keine einzige. Immer schaut irgendein Glied heraus. Mit jeder einzelnen Person hast du, man weiß nicht warum, eine Rechnung offen, die gezahlt werden muss. Allen hast du irgendetwas angetan, was du nicht solltest, oder du hast etwas nicht getan, was du hättest tun sollen. Ich weiß Bescheid. Aber der tagblinde Francisco wird kaltblütig genug sein, ihnen entgegenzutreten, er dürfte das haben, was mir immer gefehlt hat, hat es wohl seit jeher gehabt. Er wird sich mit den einen gegen die anderen Geister verbünden und wird mit seinen Bündnissen richtig liegen. Er ahnt, auf welche Seite die Münze fallen wird. Wenn es Nacht wird, sperrt er sich in seinem Haus ein. Er sagt, er arbeitet, aber ich glaube, die Klausur bedient, über die Altersmüdigkeit hinaus – wer will sich in diesem Alter noch die Nacht um die Ohren schlagen –, sein Image. Er
Weitere Kostenlose Bücher