Am Ufer (German Edition)
sieht sich sehr vor, nicht draußen in die dunklen Löcher zu fallen, die spät in der Nacht drohen, sogar in einem Dorf wie Olba: die Spiele, die in der Bar bei verschlossenen Türen bis zum Sonnenaufgang dauern, die Gläser, die nie leer werden und immer wie ein und dasselbe aussehen, das Glas wieder voll (noch eins? Aber das sind dann schon neun, oder gar zehn?), die glitzernden Theken im Ladies, das Fleisch, elektrisch blau, wo es doch weiß oder rosig oder golden sein müsste, wenn es sich von den trügerischen Punktstrahlern entfernt,Fleisch, das du stundenweise kaufen kannst, und davor schützt sich Francisco, tut so, als ob ihm seine eigenen Abgründe genug sind, seine Einsamkeit in Askese, er zieht sie vor oder erträgt sie besser, sagt er; im Übrigen – das sage ich – achtet er sorgfältig auf sein Prestige als Verkoster edlerer Laster. Er erspart sich einiges, indem er sich nicht von dem Vulgären anstecken lässt, das sich an Orten breitmacht, die zu solchen Stunden offen sind, das Gelächter, das Schulterklopfen, die schlüpfrigen Witze, die Obszönitäten, das Gedränge und Gestoße. Wenn er sich schon als junger Mann von diesem Ambiente, das die Freunde seines Vaters frequentierten, fernhielt, dann jetzt umso mehr: Er hätte gleich den Ruf eines geilen alten Bocks weg. Ist doch so, wenn die anderen dir auf die Schulter klopfen und dir unter Gelächter den Hintern peitschen, dir dabei zugucken, wenn du die Ukrainerin befummelst oder die Rumänin leckst, und die Beule an der Hose offenbart, dass du einen Ständer bei diesem Fleisch bekommen hast, ist ja auch sehr ansehnlich, zart, überaus angenehm zu berühren, kostet gerade Mal vierzig Euro die halbe Stunde und ist von Klempnern, Maurern und Emigranten aus Lateinamerika oder Schwarzafrika begrapscht worden. Das heißt, sehr tief fallen. Verträgt sich überhaupt nicht mit seinem Bild eines Verkosters der großen weiten Welt. Er wäre nicht Francisco, würde er sich so verhalten. In seinen jungen Jahren spielte er sich vor mir auf, brachte eine in Folie gewickelte Kokskugel aus Madrid mit. Er schnitt sie auf einem kleinen Spiegel, den er aus dem Handschuhfach holte und auf seinem Bein neben der Gangschaltung platzierte. Eine morbide Stimmung machte sich im Fahrzeug breit, das auf freiem Feld stand. Im Wageninneren funkelt das Mondlicht auf den weißen Linien, die im Spiegel phosphoreszierend blenden. Die zwei deutige Intimität, etwas Verbotenes zu teilen, aber auch der Kosmo politismus von Francisco und meine kosmopolitische Sehnsucht (Cocaine, Heroine, David Bowie, Lou Reed und Velvet Underground: Er brachte mir Poster und Platten mit), das Ritual, die Klumpen zu zerhacken und mit der Kreditkarte die Linien zu trennen,aus einem Fünftausendpesetenschein das Röhrchen zu rollen, wir beide allein in der Nacht, das war fast so morbide wie Sex, wie eine Unbekannte in der Toilette der Diskothek zu reiten, dabei mit irgendeinem Körperteil gegen die Tür ohne Riegel zu drücken, damit keiner sie öffnet; oder sie auf freier Flur zu bumsen, gegen den Stamm eines Johannisbrotbaums, dessen breite und wohlbelaubten Zweige diskret vor dem schamlosen Scheinwerfer des Monds schützen. Er beugt seinen Körper zu mir hinüber; führt seinen Arm, seine Hand, die das Spiegelchen hält, an meinen Augen vorbei, ich soll es ablecken, bevor er es wieder ins Handschuhfach legt, einen Augenblick lang spüre ich den Druck seines Ellbogens in meinem Magen, dann den Stich des Unterarmknochens auf meinem Schenkel, wir sind eng befreundet, zwei Freunde, denen der Koks Lust macht zu reden, zu reden und weiterzureden, bis ein verwischter rosiger Pinselstrich am Horizont erscheint, etwas Übermenschliches, das über dem Schwarz des Meeres emporwächst, das seinerseits zu Milch und Silber wird, bevor es ins Blaugoldene wechselt, dies alles durch die blutverschmierte Scheibengardine Tausender Insekten, die an der Windschutzscheibe kleben. Manchmal hatte er ein Silberlöffelchen für dich, um dich zu bedienen, wie der Held eines Romans, den wir damals lasen. Ein Dandy, fern und faszinierend. Seine Gegenwart stand für den Aufstieg in einer Welt, durch deren Keller ich mich mit ihm ein paar Jahre zuvor, als wir zusammen reisten, bewegt hatte, Reisen, die für mich der Prolog von etwas sein sollten und dann zum Epilog für alles wurden, als ich mich in einem Netz verfing, das eine Spinnerin von Träumen – eher feuchten Wünschen – namens Leonor ausgelegt hatte. Nicht so für
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