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Am Ufer

Am Ufer

Titel: Am Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo
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wehte der Wind, und mein Herz war freudig, weil ich ihm wieder zuhörte.
    Mein Herz sagte mir, daß ich verliebt war. Und ich schlief mit einem Lächeln auf den Lippen glücklich ein.
    Als ich erwachte, stand das Fenster offen, und er blickte hinaus auf die Berge. Eine Weile sagte ich nichts, würde die Augen wieder geschlossen haben, wenn er sich umgedreht hätte.
    Er wandte sich um, als hätte er meine Gedanken gelesen, und sah mir in die Augen. »Guten Tag«, sagte er.
    »Guten Tag. Mach das Fenster zu, es wird kalt hier drinnen.«
    Die Andere war ohne Vorankündigung wieder da. Sie wollte wieder die Windrichtung ändern, Mängel finden, ›Nein, es ist unmöglich‹ sagen. Dabei mußte sie wissen, daß es dafür zu spät war. »Ich muß mich anziehen«, sagte ich.
    »Ich warte unten auf dich«, antwortete er.
    Und dann stand ich auf, verscheuchte die Andere aus meinen Gedanken, öffnete das Fenster wieder und ließ die Sonne herein. Die Sonne überströmte alles, die schneebedeckten Berge, den mit Herbstlaub bedeckten Boden, den Fluß, den ich nicht sah, aber hörte.
    Die Sonne fiel auf meine Brüste, meinen nackten Körper, und ich spürte die Kälte nicht, denn ich war von Wärme erfüllt, der Wärme eines Funkens, der zu einer Flamme wird, einer Flamme, die zu einem Feuer wird, einem Feuer, das nicht mehr zu bezähmen war. Ich wußte es.
    Ich wollte es.
    Ich wußte, daß ich von diesem Augenblick an Himmel und Hölle kennenlernen würde, Freude und Schmerz, Traum und Hoffnungslosigkeit, und daß ich die Stürme nicht mehr bändigen konnte, die in den verborgenen Winkeln der Seele tobten. Ich wußte, daß mich von diesem Augenblick an die Liebe leitete – obwohl sie schon seit meiner Kindheit dagewesen war, seit ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Denn vergessen hatte ich ihn nie, auch wenn ich mich für unwürdig gehalten hatte, um ihn zu kämpfen. Es war eine schwierige Liebe mit Grenzen, die ich nicht überschreiten wollte.
    Ich erinnerte mich an den Platz in Soria, an den Augenblick, in dem ich ihn bat, die Medaille zu suchen, die ich verloren hatte. Ich wußte – ja, ich wußte wohl, was er mir sagen wollte, und wollte es nicht hören, weil er einer von diesen Jungen war, die eines Tages auf der Suche nach Geld, Abenteuern oder Träumen fortgehen. Was ich wollte, war eine erfüllbare Liebe, mein Herz und mein Körper waren noch jungfräulich, und irgendwann würde mich ein verzauberter Prinz finden.
    Damals verstand ich kaum etwas von der Liebe. Als ich ihn beim Vortrag sah und die Einladung annahm, hielt ich mich für eine reife Frau, die fähig war, das Herz des Mädchens im Griff zu haben, das so sehr darum gekämpft hatte, ihren verzauberten Prinzen zu finden. Dann hatte er vom Kind in uns gesprochen, und ich hatte wieder die Stimme des Mädchens vernommen, das ich einmal war, der Prinzessin, die Angst hatte vor Liebe und Verlust.
    Vier Tage lang hatte ich nicht auf die Stimme meines Herzens gehört, doch sie war immer lauter geworden, was die Andere in Verzweiflung gestürzt hatte. Im verborgensten Winkel meiner Seele gab es mich immer noch, und ich glaubte an die Träume. Bevor die Andere noch etwas sagen konnte, sagte ich ja zur Reise, sagte ich ja zum Risiko. Und das war der Grund – dieser kleine Rest von mir –, daß die Liebe mich wiederfand, nachdem sie mich überall auf der Welt gesucht hatte. Trotz der von der Anderen in einer ruhigen Straße in Saragossa aufgebauten Mauer aus Vorurteilen, Gewißheiten und Lehrbüchern hatte die Liebe mich wiedergefunden.
    Ich hatte das Fenster und meine Seele geöffnet. Das Sonnenlicht war ins Zimmer geströmt und die Liebe in meine Seele.
    Wir wanderten stundenlang mit leerem Magen, wir gingen auf der Straße und durch den Schnee, frühstückten dann in einer kleinen Stadt, deren Namen ich mir nicht merkte, doch auch sie besitzt einen Brunnen mit einer Skulptur, die Schlange und Taube ineinander verschlungen darstellt, als wären sie ein einziges Tier.
    Er lächelte.
    »Das ist ein Zeichen. Das Männliche und das Weibliche in einer einzigen Figur vereint.«
    »Auf das, was du gestern über Gottes männliche und weibliche Seite gesagt hast, wäre ich nie gekommen«, meinte ich. »Aber es macht Sinn.«
    »Gott erschuf den Menschen zu seinem Bilde«, sagte er, die Genesis zitierend. »Zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib.«
    Seine Augen strahlten. Er war glücklich und lachte über nichts und wieder nichts. Er sprach Leute an,

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